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Gregor Gysi

© dpa

DDR-Geschichte: „Ständig von Stasileuten umgeben“

Ein pensionierter Richter und Hobby-Historiker kämpft gegen Geschichtsklitterung. Erst hat er sich Angela Merkel vorgeknöpft, nun Gregor Gysi angezeigt.

Von Matthias Meisner

Lothar Thoß hatte zunächst einen recht guten Eindruck von Gregor Gysi. Vor gut zehn Jahren verfolgte der pensionierte Richter eine Bundestagsdebatte am Fernseher – und erlebte den damaligen PDS-Politiker als „ein belebendes Element“ fürs Parlament. Ein „hochintelligenter Mann“, so spricht Thoß heute über den Fraktionsvorsitzenden der Linken. Was nichts daran ändert, dass er derjenige ist, der Gysi im Bundestagswahljahr erheblich Ärger macht: Denn er ist derjenige, der den Linken-Politiker im Mai vergangenen Jahres anzeigte, eine eidesstattliche Versicherung Gysis zu seinen Stasikontakten soll falsch gewesen sein. Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft in diesem Fall waren im Februar publik geworden.

Wohl noch Monate werden sich die Ermittlungen hinziehen, nachdem Gysi vor einigen Tagen eine ausführliche Stellungnahme abgegeben hat, in der er die Vorwürfe bestreitet. Drei Strafverteidiger beschäftigt der Linken-Politiker mit seinem Fall, Walter Venedey aus seiner eigenen Kanzlei in der Berliner Fasanenstraße, daneben Nicolas Becker und Stefan Conen aus einem weiteren Anwaltsbüro dort um die Ecke.

Wer aber ist dieser Thoß, was treibt ihn an? In den bisherigen Presseveröffentlichungen über den Fall Gysi ist der Mann bisher anonym geblieben. Seit Wochen kursierte in der Linken sein Name – auffindbar war er zunächst jedoch nicht. Nur Journalisten der „Welt“ und des „Focus“ gab er Interviews. Sie schilderten den 78-Jährigen, ohne seinen Namen zu nennen, als Hobby-Historiker. Gysis Versuche, Journalisten und ehemaligen Oppositionellen den Mund zu verbieten, hätten dessen „Gerechtigkeitssinn geweckt“. Das Handbuch der Justiz verzeichnet Lothar Thoß, geboren am 11. Februar 1935, in seiner Ausgabe aus dem Jahr 1984. Seit 1982 arbeitete er demnach als Vorsitzender Richter am Münchener Landgericht. Ausfindig machen lässt sich Thoß in der Weinbaugemeinde Dienheim im Landkreis Mainz-Bingen.

Vom Tagesspiegel befragt, legt Thoß Wert darauf, nicht als der Süddeutsche dargestellt zu werden, der vom Osten keine Ahnung habe. In Dresden wuchs er auf, nach dem Krieg lebte er ein paar Monate im Vogtland, bevor er – noch vor der Gründung der DDR – aus der Sowjetischen Besatzungszone über die grüne Grenze nach Bayern floh. Seine Frau stammt aus Thüringen. Er studierte in München, war dort erst Staatsanwalt und dann Strafrichter. Mitglied einer Partei war er nach eigenen Angaben nie. Schon die NS-Aufarbeitung sehe er schon zu Studienzeiten und noch heute als unbefriedigend an, erzählt Thoß, nach dem Fall der Mauer wehrte er sich gegen „Geschichtsklitterung“ mit Blick auf die DDR.

Mit Gysi hat sich Thoß intensiver seit eineinhalb Jahren beschäftigt. Die Aktenlage gegen ihn sei „ziemlich erdrückend“ – andere hätten „bei einer weit geringeren Aktenlage zurücktreten müssen“. Seinen Kampf will der Ex-Richter demnächst ergänzen mit einer Buchveröffentlichung über Rechtsanwälte in der DDR, in der Gysi eine zentrale Rolle einnehmen werde. Demnächst will er wieder in Berlin sein, um weiter im Aktenbestand der Stasiunterlagenbehörde zu recherchieren.

Erst auf Nachfrage kommt Thoß auf ein weiteres Kapitel seiner Geschichtsaufarbeitung zu sprechen – seine Versuche, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel am Zeug zu flicken. Im Netz finden sich mehrere Blogeinträge aus den Jahren 2009 bis 2012. Merkel habe „als FDJ-Sekretärin offensiv die DDR-Regierungslinie“ vertreten und eine „tiefrote Vergangenheit“. In der Wendezeit sei sie „ständig von Stasileuten umgeben“ gewesen. Das deute „sicher nicht darauf hin, dass sie die Bespitzelte war“. Thoß bestätigt seine Urheberschaft dieser Einträge. Generell werde die DDR-Geschichte im Abstand immer weiter verklärt, er sehe sich an der Seite der Bürgerrechtler, „die sich nicht haben unterkriegen lassen“. Merkel angezeigt, wie Gysi das behauptet hat, habe er aber nicht.

Inzwischen findet Thoß offenkundig ohnehin den Fall Gysi interessanter. Er schob eine Anzeige nach gegen Günter Lohr – der Stasimann hatte nach der Wende versichert, er sei Gysi nicht offen als MfS-Vertreter, sondern als „Staatsanwalt Lohse“ gegenübergetreten, unter „IM Notar“ seien verschiedene Quellen zusammengetragen worden. Schon 1998 war Lohr im „Neuen Deutschland“ als einer der „Väter von ,Notar’“ vorgestellt worden. Auch die Anzeige gegen Lohr ist anhängig in Hamburg. Womöglich erweist sie sich als ein Winkelzug, um einen Entlastungszeugen von Gregor Gysi auszuschalten.

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