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Sterbehilfe: Schnitt am Schlauch

Totschläger oder Sterbehelfer? Ein Anwalt wehrt sich vor dem Bundesgerichtshof gegen seine Verurteilung.

Berlin - Ein Mensch zwischen Leben und Tod, Angehörige, die ihm seinen letzten Wunsch erfüllen wollen – eine Tabu- und Konfliktzone, in der sich Trauer und Schicksal mit ärztlichen Maßgaben und juristischen Prinzipien konfrontieren. An diesem Freitag will der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil sprechen, das etwas mehr Frieden in den Abschied bringen soll. Nach den Worten der Vorsitzenden Richterin Ruth Rissing-van Saan geht es um die grundsätzliche Frage, wie weit Sterbehilfe gehen darf und wo die Grenze „zwischen Töten und natürlichem Sterben“ verläuft.

Das Drama dauerte fünf Jahre und hatte vier Beteiligte, von denen zwei nicht mehr leben. Erika K. war 2002 nach einer Hirnblutung hoffnungslos ins Wachkoma gefallen, ihre Kinder Elke und Peter wollten sie sterben lassen, es sei die Bitte der Mutter gewesen. Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Putz, ein engagierter Medizin- und Patientenrechtler erreichte einen Kompromiss. Die Pfleger sollten weiter ihre Arbeit machen, die Kinder aber dürften die künstliche Ernährung über eine Magensonde abstellen. Kurz vor Weihnachten 2007 sollte es so weit sein, doch da schaltete sich die oberste Heimleitung ein. Dass Risiko, sich strafbar zu machen, sei zu groß, hieß es, den Kindern wurde Hausverbot angedroht, sollten sie trotzdem weitermachen. Tochter Elke beriet sich telefonisch mit Rechtsanwalt Putz, der die Order der Heimleitung juristisch als Körperverletzung deutete. Grundsätzlich im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der schon 2005 feststellte, eine Ernährung gegen den Willen des Patienten sei unzulässig.

Putz’ Kalkül: Rechtsschutz wäre kurzfristig kaum zu erreichen, die Kinder sollten den Sondenschlauch deshalb kurz oberhalb der Bauchdecke abschneiden; er würde dann in den Körper der Patientin zurückrutschen. Eine neue Sonde zu legen, ein erneuter Eingriff also, dazu würde sich dann kein Arzt mehr legitimiert fühlen. Minuten später folgten die Geschwister dem Rat. Pfleger entdeckten dies und holten die Polizei. Ein Staatsanwalt ordnete die Verlegung der Patientin in ein Krankenhaus an, gegen den Willen der Kinder. Eine neue Sonde ernährte Erika K., damals 75 Jahre alt, dennoch starb sie zwei Wochen später – eines natürlichen Todes, nicht wegen des kurzfristigen Absetzens der Nährflüssigkeit. Sohn Peter verwand das Schicksal der Mutter nicht und nahm sich das Leben.

Das Landgericht Fulda sah Anwalt Putz als Hauptschuldigen an und verurteilte ihn wegen versuchten gemeinschaftlichen Totschlags zu neun Monaten Haft auf Bewährung. Erika K. hätte es noch zugemutet werden können, eine gerichtliche Entscheidung über den Behandlungsabbruch abzuwarten. Die mitangeklagte Tochter Elke sprach das Landgericht frei, sie habe sich in einem sogenannten Erlaubnisirrtum befunden, weil sie auf den Rat des Anwalts vertraute. Dieser selbst hätte die Rechtslage freilich anders und besser einschätzen müssen.

Bei der mündlichen Verhandlung Anfang Juni in Karlsruhe hatten Verteidigung und auch die Bundesanwaltschaft, Freispruch für Putz gefordert. Wenn es der feststehende Wille des Patienten sei, in einer solch aussichtslosen Situation zu sterben, dürfe das Durchtrennen des Schlauches nicht strafbar sein. Das Problem: Paragraf 216 Strafgesetzbuch verbietet ausdrücklich die „Tötung auf Verlangen“. Andererseits wird beispielsweise das Abschalten eines Beatmungsgeräts in solchen Fällen nicht als verbotenes aktives Tun, sondern als rechtlich zulässiges „Unterlassen“ bewertet. Der Unterschied, resümierte Richterin Rissing-van Saan damals, sei juristischen Laien nicht klarzumachen.

Eine den Paragrafen 216 einschränkende Interpretation könnte indes Sterbehilfeorganisationen Auftrieb geben, wie etwa der des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch. Die Polizei gab am Donnerstag bekannt, die Ermittlungen gegen ihn seien eingestellt. Die politische Diskussion könnte durch das BGH-Urteil wieder entfacht werden. Die Richter wandern auf einem schmalen Grat.

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