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Jürgen W. Falter (69) ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

© Mike Wolff

Steuer-Affäre: „Das ist eine irrationale Debatte“

Ein Steuerhinterzieher arbeitet als Schatzmeister? Ein Bürgermeister schützt einen Steuersünder? Die Öffentlichkeit ist empört. Und führt eine widersprüchleiche Debatte, sagt der Politikwissenschaftler Jürgen Falter.

Zunächst einmal ist es nicht illegal, Geld im Ausland anzulegen. Entscheidend ist die Frage, ob jemand Steuern bloß vermeiden oder hinterziehen wollte. Im Fall Linssen wurde das Verfahren eingestellt, der Vorgang ist längst abgeschlossen und Linssen ist erst seit kurzem Schatzmeister. Natürlich kommen hier Begriffe wie „Schatzmeister“, „Geld im Ausland“ und „CDU“ zusammen, die an die Spendenaffäre erinnern. Aber ich finde den Vergleich weit hergeholt.

Aber jetzt ist Linssen nun mal Schatzmeister und hat der Fall dadurch nicht eine politische Dimension?

Es war von Linssen schon politisch ungeschickt. Keine Frage. Aber ich plädiere dafür, Fälle wie diese vor allem erst einmal juristisch zu bewerten, bevor man zu politischen Konsequenzen kommt.

Alice Schwarzer und André Schmitz haben tatsächlich Steuern hinterzogen. Jetzt wird über das Instrument der strafbefreiten Selbstanzeige diskutiert. Zu Recht?

Das ist eine geradezu irrationale Debatte. Würde man das Instrument abschaffen, ginge dem Fiskus eine Menge Geld verloren. Denn ohne Strafbefreiung würde sich wohl keiner mehr selbst anzeigen und lieber auf den ja faktisch eher unwahrscheinlichen Fall der Entdeckung warten. Die Befürworter der Abschaffung argumentieren, dass es ungerecht sei, wenn Steuerhinterzieher so davonkämen. Aber Gerechtigkeit ist nicht der einzige Wert für politisches Handeln. Man muss auch sehen, was für den Staat am Ende bleibt.

Es gibt also keinen Änderungsbedarf?

Doch, das schon. Es wäre sicher sinnvoll, die Verjährungsfrist zu verlängern. Auch eine Anhebung der Strafaufschlagzinsen ist sicher sinnvoll.

Alice Schwarzer beklagt, dass Sie jetzt in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werde. Können Sie das nachvollziehen?

Ich kann nicht erkennen, dass hier eine Personenverfolgung stattfindet. Alice Schwarzer befindet sich in einer Grauzone zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem öffentlichen Interesse an dem Fall. Aber sie ist eine Person der Zeitgeschichte und in ihrem Fall überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit. Und dass die Öffentlichkeit jetzt vor allem mit Schadenfreude reagiert, ist ärgerlich für Schwarzer, aber nachvollziehbar, da sie selbst stets mit moralischer Unbedingtheit gegenüber anderen auftritt.

Ist in Berlin Klaus Wowereit beschädigt, weil er Schmitz unbedingt halten wollte?

In jedem Fall. Nüchtern betrachtet ist auch im Fall Schmitz alles rechtens abgelaufen. Er hat sich selbst angezeigt, nachgezahlt und der Fall ist abgeschlossen. Dass Wowereit an ihm festhielt, ist nachvollziehbar, aber sicher politisch ebenfalls ungeschickt. Die Causa Schmitz wird ihm in der Öffentlichkeit schaden und vor allem in seiner eigenen Partei. An sich ist das Desaster um den BER viel größer als der Fall Schmitz. Aber das Standbild von Wowereit hatte schon zuvor Risse nicht nur im Fundament. Jetzt ist ein weiterer hinzugekommen. Wowereit wackelt und vielleicht stürzt das Denkmal dann auch durch einen so vergleichbar kleinen Fall.

Jürgen W. Falter (69) ist Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der

Johannes-

Gutenberg-Universität

in Mainz.

Mit ihm sprach

Christian Tretbar.

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