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Politik: Steuerreform: Das Debakel der Union ist Nebensache. Schröders Bundesrat-Coup nutzt dem Land - und steht der Rentenreform nicht im Weg (Gastkommentar)

Dass der Bundesrat kürzlich der Steuerreform mit Mehrheit zugestimmt hat, schlägt noch immer hohe Wellen. Besonders intensiv wird in diesem Zusammenhang die Niederlage der Union debattiert.

Dass der Bundesrat kürzlich der Steuerreform mit Mehrheit zugestimmt hat, schlägt noch immer hohe Wellen. Besonders intensiv wird in diesem Zusammenhang die Niederlage der Union debattiert. Manche beschränken sich dabei fast völlig auf diesen Aspekt und gehen mit Leidenschaft der Frage nach, wie es zu diesem Debakel kommen konnte und welche Folgen es für die Union und die daran beteiligten Führungspersonen haben wird. Die scharfen Töne, die in der Union selbst dazu wechselseitig angeschlagen werden, tun ein Übriges, um die Suppe am Kochen zu halten.

Das ist nicht überraschend. Streit um personalisierte Konflikte - zudem innerhalb ein- und derselben Partei - ziehen eben die Aufmerksamkeit allemal stärker auf sich als eine Betrachtung, die sich an objektiven Kriterien orientiert. Dennoch stehen für mich nicht die Auseinandersetzungen innerhalb der Union, sondern die folgenden drei Bewertungen des Vorgangs im Vordergrund

Erstens und vor allem ist die Entscheidung gut für unsere Republik. Endlich beginnt sich ein langer Stau, der weit in die Zeit der Regierung Kohl zurückgreift, aufzulösen. Die Steuererleichterungen geben der Wirtschaft Impulse und verstärken, da sie auch den breiten Schichten zugute kommen, die Nachfrage. Das wird neue Arbeitsplätze schaffen. Die Reform steht außerdem mit den Geboten der sozialen Gerechtigkeit in Einklang; zumindest widerspricht sie ihnen nicht. Und sie wird die Verschuldung insgesamt nicht erhöhen. Bei allem, was noch anders und besser hätte sein können, ist das ein Anlass zur Genugtuung.

Zweitens ist die Entscheidung gut für unser föderales System. Die Länder, an deren Regierungen die CDU oder die FDP beteiligt sind, haben genau das getan, was das Bundesstaatsprinzip will: Sie haben sich nämlich bei der Stimmabgabe am Interesse ihrer Länder und am Gesamtinteresse der Bundesrepublik orientiert - und nicht am Interesse einer bestimmten Partei. Dabei haben sie sogar noch eine Senkung des Spitzensteuersatzes um einen Prozentpunkt und eine bemerkenswerte Verbesserung zugunsten des Mittelstandes erreicht. Dass sich der Bund ihnen gegenüber in einigen bilateralen Fragen aufgeschlossener zeigte als bisher, hat wohl auch eine Rolle gespielt. Aber das liegt im Rahmen des politischen Ermessens und ist so in vergleichbaren Fällen auch schon früher praktiziert worden - und zwar von allen Bundesregierungen.

Zum Dritten ist der Vorgang gut für die Bundesregierung. Sie hat sich als handlungsfähig erwiesen und einen wichtigen Punkt ihres Programms verwirklicht. Ich vermag nicht zu erkennen, warum es unserem Gemeinwesen schaden sollte, wenn die amtierende Regierung etwaige Zweifel an ihrer Kompetenz in so überzeugender Weise ausräumt. Und dabei den Beifall der Gewerkschaften ebenso findet wie den der großen Wirtschaftsverbände.

Jetzt erst, an vierter Stelle der für unser Gemeinwesen relevanten Aspekte, kommt für mich die Niederlage der Union. Sie ist für die Anhänger dieser Partei gewiss ärgerlich. Ein nationales Unglück ist sie schon deshalb nicht, weil Niederlagen in einer funktionierenden Demokratie unvermeidlich sind und auch nicht immer nur die eine Seite treffen. Immerhin ist es noch nicht einmal ein Jahr her, dass bei wichtigen Landtagswahlen die heutigen Regierungsparteien bittere - und weitgehend selbst verschuldete - Niederlagen erlitten haben. Deshalb war es klug, dass Gerhard Schröder und Hans Eichel nach der Bundesratsentscheidung den Erfolg in der Sache und nicht die Schadenfreude über das Ungemach der Union in den Vordergrund gerückt haben.

Übrigens: Das Debakel hätte sich leicht vermeiden lassen. Durch eine realistischere Einschätzung der Interessen der in Rede stehenden Länder. Und selbst im letzten Moment noch dadurch, dass die Fraktionsführung die erreichten Verbesserungen betont und als eine Auswirkung ihres Engagements mit in Anspruch genommen hätte. Auf diese Weise wäre sämtlichen CDU-Ministerpräsidenten die Zustimmung ermöglicht und vor allem das Auseinanderfallen der CDU-Stimmen vermieden worden. Aber das ist der Schnee von gestern.

Vielleicht lernt die Union jedoch aus dieser Erfahrung und verzichtet künftig darauf, ihre Bundesratsmitglieder unter eine Art Vormundschaft zu stellen. Die jüngste Äußerung von Frau Merkel, dass man den Bundesrat nicht mehr "als Kraftfeld der Union überfordern wolle", lässt das erhoffen. Um so glaubwürdiger könnte die Union dasselbe auch von den Regierungsparteien verlangen. Die wären ohnehin gut beraten, in Zukunft bei den SPD-geführten Ländern nicht zu beklagen, was sie gerade im umgekehrten Falle gelobt haben. Jedenfalls sehe ich nicht, dass eine Verständigung über die Rentenreform nun schwieriger geworden wäre. Davon, dass sie der Zustimmung des Bundesrats nur in einer Frage bedarf, in der sich die Parteien einander angenähert haben, einmal ganz abgesehen.

Hans-Jochen Vogel

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