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Politik: Stimmung statt Strömung

Grüne Führungsfragen: Selten war die Lage so schwer einzuschätzen wie auf dem Hannoveraner Parteitag

Von Hans Monath

Werner Schulz ist ein Politiker, der auch heiße Eisen anpackt, wenn er es für nötig hält. Und deshalb sorgt der Berliner Bundestagsabgeordnete und ehemalige DDR-Bürgerrechtler auf dem Parteitag der Grünen in Hannover als erster prominenter Politiker am frühen Samstagabend dafür, dass der Streit um Amt und Mandat in der Eilenriedehalle nach Stunden der dahinplänkelnden Auseinandersetzung plötzlich laut und heftig ausgetragen wird. Der ganze Parteitag wird aufmerksam, Delegierte auf den Gängen bleiben stehen, als Schulz sich in Fahrt redet und vom Podium die Worte herabschleudert: „Die Partei will geführt, aber nicht beherrscht werden.“

Als offene Kampfansage an die Vorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn müssen das die Delegierten verstehen. Denn die beiden Parteichefs wollen an diesem langen Tag eine Ausnahmegenehmigung erstreiten, die ihnen nach einer Wiederwahl die Fortsetzung der Arbeit ermöglicht. Die Grundsatzentscheidung soll später eine Urabstimmung treffen. Schulz hat, was alle aufhorchen lässt, mit seinen Sätzen den Satzungsstreit als Konflikt zwischen oben und unten beschrieben. Die Voraussetzung für die Debatte hat eine Delegierte abseits des Podiums selbstkritisch mit dem Satz beschrieben: „Es gibt nirgendwo so viel Misstrauen gegen sich selbst wie bei den Grünen.“ Misstrauen gerade gegen ein zu starke Führung.

Ein zu schwaches Auftreten gegenüber dem Koalitionspartner wirft Schulz den Vorsitzenden vor, und auch das Stichwort Obrigheim erwähnt er, weil wegen des Kanzlerworts zur Laufzeitverlängerung für das AKW der Groll bei den Grünen groß war. Und schickt gleich noch eine Spitze gegen Kuhn hinterher, dem manche Parteimitglieder vorwerfen, er vertrete zu häufig sozialdemokratische Positionen: „Wir sind keine Juso-Spätheimkehrer.“

Sofort gibt Renate Künast hart und persönlich zurück: „Du machst es dir wieder einmal zu einfach“, wirft sie ihrem Berliner Parteifreund vor. Die gute Leistung der Parteiführung sei anerkannt: „Das lass’ ich mir nicht von dir kaputtmachen!“ Und dann geht die Ministerin ihren Berliner Abgeordnetenkollegen aus Pankow persönlich an und hält ihm vor, er solle seiner Aufgabe als wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion gerecht werden und Konzepte gegen die Krise vorlegen. Die Menschen warteten auf Lösungen, „nicht auf große Machosprüche“.

Als Fritz Kuhn wenig später in der politischen Aussprache direkt auf Schulz antwortet, gesteht sogar der Parteichef selbst ein, dass der Berliner einen wunden Punkt getroffen habe, um ihm im gleichen Atemzug zu widersprechen: „Ich kann manches von dem, was Werner gesagt hat, im Impuls, aber nicht in der Konsequenz nachvollziehen.“ Verständnis für die Emotionen der Basis, auch wenn es Misstrauen gegen seine Amtsführung ist, will Kuhn ausdrücken. Dabei hatte Schulz nur offensichtlich an die von vielen Delegierten geteilten Emotionen appelliert, aber zu konkreten Konsequenzen aus seiner Kritik gar keine Stellung genommen, also weder die Urabstimmung noch die Übergangsregelung klar bewertet. Doch Kuhn, ganz auf Kampf eingestellt und dabei so nervös, dass er sich manchmal verspricht, führt Schulz auch noch für Aussagen vor, die der ehemalige Bürgerrechtler an anderer Stelle gemacht hat: „Es ist nicht grün, Werner, Schwarz-Grün zu fordern, sondern es ist Harakiri.“ Der lange Jubel für Kuhn danach scheint fast so etwas wie eine Wiedergutmachung für die Kritik auszudrücken, mit der die Partei ihren Vorsitzenden in den vergangenen Wochen überzogen hatte.

Trotzdem war die Stimmung unter den Delegierten in Hannover bis zum Schluss schwer einzuschätzen – scheint doch auch die Basis gespalten: Vor wenigen Wochen berichteten Bundestagsabgeordnete aus ihren Landes- und Kreisverbänden, dort wollten nun auch solche Mitglieder gegen die Führung stimmen, die zuvor noch für eine Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat gewesen waren.

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