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Stimmungswechsel: Türkei und Obama: "Aus der Traum"

Vor gerade einmal drei Wochen sang ganz Ankara Loblieder auf Barack Obama. Dann gab dieser eine Stellungnahme zum Jahrestag der Massaker an den anatolischen Armeniern ab. Nun ist der US-Präsident für viele Politiker und Medien ein Buhmann.

Bei seinem Besuch in der Türkei Anfang des Monats betonte Obama die strategische Bedeutung der Türkei und warb mehrmals und öffentlich für eine Aufnahme des Landes in die EU. Die Türken erlagen Obamas Charme und werteten den Besuch als vollen Erfolg und eindrucksvolle Bestätigung einer starken Freundschaft zwischen Ankara und Washington.

Doch vergangene Woche gab der US-Präsident eine Stellungnahme zum Jahrestag der Massaker an den anatolischen Armeniern im Ersten Weltkrieg ab, und plötzlich war alles anders. "Inakzeptabel" seien die Äußerungen des amerikanischen Präsidenten, wetterte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. "Aus der Traum", kommentierte eine Zeitung den raschen Stimmungswechsel von der Obamania zur harschen Kritik.

Dabei befolgte Obama in der für US-Präsidenten traditionellen Botschaft zum Gedenktag am 24. April zumindest von der Wortwahl her einen dringenden türkischen Wunsch: Er vermied den Begriff "Völkermord". Doch er sagte so viele andere Dinge, dass es am Ende so wirkte, "als habe er es doch gesagt", wie der Kolumnist Semih Idiz in der Zeitung "Milliyet" schrieb.

Obama bleibt bei seiner Meinung: Völkermord

Als Präsidentschaftskandidat hatte Obama, die armenischstämmigen US-Wähler fest im Blick, von einem türkischen Völkermord an den Armeniern gesprochen und angekündigt, diesen nach einer Wahl auch offiziell als solchen anzuerkennen. Bisher sind die US-Präsidenten vor diesem Schritt immer zurückgeschreckt, weil sie Spannungen mit dem wichtigen Partner Türkei befürchteten. Nun sagte Obama, an seiner Meinung über die Ereignisse des Jahres 1915 habe sich nichts geändert - er sprach von Völkermord, ohne das Wort in den Mund zu nehmen.

Deshalb ist der Ärger und die Enttäuschung der Türken so groß. Nächstes Jahr werde der Präsident ganz offiziell von Völkermord sprechen und damit eine Lawine lostreten, sagte die Zeitung "Vatan" voraus: Zuerst werde die Anerkennung des Völkermordes zum EU-Beitrittskriterium für die Türkei erklärt, dann seien Gebiets- und Reparationsforderungen der Armenier zu erwarten.

Auch Parlamentspräsident Köksal Toptan, der normalerweise zu den besonneren Köpfen in Ankara zählt, war sauer. Äußerungen wie die von Obama könnten dem vorsichtigen Annäherungsprozess zwischen der Türkei und Armenien ernsthaft schaden, sagte er. Erst im vergangenen Jahr hatten die beiden verfeindeten Nachbarn ihre lange Eiszeit beendet und Gespräche auf hoher Ebene aufgenommen. Dabei geht es um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Öffnung der seit 1993 geschlossenen gemeinsamen Grenze. Vergangene Woche verkündeten beide Regierungen, sie hätten sich auf einen Fahrplan zur vollständigen Normalisierung der Beziehungen geeinigt.

Streit um mögliche Grenzöffnung

Schon vor Obamas Botschaft war die Regierung Erdogan jedoch beim Thema Armenien unter Druck geraten. Die Opposition in Ankara und der Partner Aserbaidschan protestierten heftig gegen eine mögliche Grenzöffnung zu Armenien noch vor Beilegung des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts um die Enklave Berg-Karabach. Nach Obamas Erklärung spricht in Ankara nun überhaupt niemand mehr öffentlich über eine baldige Öffnung der Grenze.

An ein Ende des Dialogs mit Armenien denkt die Regierung Erdogan aber trotzdem nicht. Sie hat erkannt, dass die lange Zeit verfolgte Politik, die Armenier einfach zu ignorieren, den türkischen Interessen eher schadet als nützt. "Es ist nicht einfach", räumte Außenminister Ali Babacan kürzlich mit Blick auf die Beziehungen zu Armenien ein. "Aber wir bewegen uns Schritt für Schritt vorwärts, wie in einem Schachspiel."

Zudem kann sich Ankara damit trösten, dass auch die armenische Seite nicht einverstanden war mit Obamas Botschaft, eben weil der Begriff "Völkermord" fehlte. Manchmal bestehe der gemeinsame Nenner in der internationalen Politik eben nicht darin, alle glücklich zu machen, kommentierte die Zeitung "Radikal" nach Obamas Statement - "sondern alle unglücklich".

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