zum Hauptinhalt

Politik: Stipe Mesics Wahl zum Präsidenten zeigt: Kroatien ändert sich. Doch die Welt hat das Staunen verlernt (Kommentar)

Kann man sich an Wunder gewöhnen? Seit 1989 hatten die Demokratien mehrfach Grund zur Genugtuung: In Ost- und Südosteuropa wandte sich ein Land nach dem anderen von der Diktatur ab.

Kann man sich an Wunder gewöhnen? Seit 1989 hatten die Demokratien mehrfach Grund zur Genugtuung: In Ost- und Südosteuropa wandte sich ein Land nach dem anderen von der Diktatur ab. Die Revolution ist zum Normalmaß geworden. Inzwischen werden Machtwechsel eher geschäftsmäßig zur Kenntnis genommen, heute in Kroatien so gut wie vor anderthalb Jahren in der Slowakei. Als in Polen und Tschechien die Regimes stürzten, als das Schicksal Rumäniens an Weihnachten 1989 auf der Kippe stand, fieberten die Menschen im Westen mit, brachen am Ende in Jubel aus. Die Hilfsbereitschaft war groß, allen war bewusst, was für ein grundstürzender Wandel sich da vollzog. Wo aber bleibt die rasche Unterstützung für Kroatien und die Slowakei?

Die Welt hat das Staunen verlernt. Gewiss, sie ist aus Enttäuschungen klug geworden. In Bulgarien und Rumänien haben sich die Hoffnungen auf politische und wirtschaftliche Stabilität nicht erfüllt. Russland und die Ukraine lösen mehr Sorge als Zuversicht aus. Mit der Nüchternheit kann man es jedoch auch übertreiben. Die kroatischen Parlaments- und Präsidentenwahlen bedeuten nicht nur einen Macht-, sondern einen Systemwechsel. Er verändert die Karte des ganzen Balkan. Ebenso wie zuvor der Nationalismus wirkt nun Kroatiens Demokratisierung nach Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien hinein. Das verstorbene Staatsoberhaupt Tudjman hatte destruktiven Einfluss auf Bosniens zerbrechliche Staatskonstruktion, nun hellt sich der Horizont über Sarajevo auf. Und wie lange wird sich Serbien der Despotendämmerung noch entziehen können?

Und doch sollte man die Hoffnungen auf einen von Kroatien ausgehenden Dominoeffekt nicht übertreiben. Das lehrt die Erfahrung mit Russland, das eben nicht zeitverzögert den Weg Polens oder Ungarns geht. Liegt das womöglich an langfristigen Traditionen der politischen Kultur, die wiederum von der Zivilisations- und Religionsgeschichte eines Landes und seiner Bewohner abhängt?

Nach einer Zwischenperiode nationalpopulistischer Verirrungen haben sich Kroaten und Slowaken für Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft entschieden. Zehn Jahre nach Auflösung der Ost-West-Teilung stimmt der Geltungsbereich des westlichen Politik-, Werte- und Wirtschaftssystem weitgehend überein mit dem Raum, der über Jahrhunderte durch das römische Christentum geprägt war - vorausgesetzt, dass die Wende in Kroatien und der Slowakei sich im Gegensatz zu den orthodoxen Ländern Bulgarien und Rumänien als stabil erweist. Ein Zufall? Oder ein Hinweis, wo künftige Kulturgrenzen verlaufen könnten?

So oder so ist die abwartende Haltung des alten Westeuropa ein Fehler. Ein Blick auf die Karte genügt: Kroatien und die Slowakei sind nicht bloß zwei Länder mehr oder weniger, die für die Demokratie gewonnen werden oder eben nicht. Eine undemokratische Slowakei ragt wie ein bedrohlicher Keil nach Mitteleuropa hinein. Und Kroatiens Entwicklung entscheidet über das Schicksal des Balkan. Auch wenn der Dominoeffekt ausbliebe: Die Wende in Zagreb hat das Ausmaß wie den geographischen Raum der Instabilität zwischen den EU-Mitgliedern Österreich und Griechenland bedeutend verkleinert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false