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Ein Untersuchungsausschuss soll die Übergriffen in der Kölner Silvesternacht untersuchen.

© Maja Hitij/dpa

Köln und die Folgen: Straft die Grabscher

Beleidigung ist ein Delikt, Belästigung ist keines - das kann anders werden. Die Politik ignoriert eine Lehre aus der Kölner Silvesternacht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Ein Schuldiger, besser eine Schuldige der bedrückenden Kölner Silvesternacht heißt: Angela Merkel. Nicht weil sie ohnehin an allem schuld ist, sondern weil ihr Kanzleramt monatelang einen Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas aufgehalten hat, der, wie Maas jetzt sagt, „abdeckt“, was vor dem Hauptbahnhof geschehen sei, der sexuellen Missbrauch strenger ahnden und demnächst im Kabinett beschlossen werden soll. War das nicht, was uns fehlte? Schärfere Gesetze! Verhindert durch Merkel!

Eine schlichte Logik. Zu schlicht für die Politik und viel zu schlicht für die komplizierteste aller Angelegenheiten, die Wirklichkeit. Maas’ Gesetz geht in eine richtige Richtung, es schützt, was schutzbedürftig ist, aber es deckt nichts ab. Schon gar nicht das Treiben des räudigen Silvestermobs. Es hätte die Meute weder in die Flucht geschlagen noch würde es Verurteilungen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage wesentlich erleichtern. Angela Merkel kann also aufatmen.

Sexuelle Handlung ist nicht jedes sexuelle Handeln. Die, die das Strafgesetz so nennt, sind nur Handlungen, „die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind“. Daran würde auch das neue Abdeck-Gesetz nichts ändern. Unerheblich allerdings dürfte auch im Fall des Domplatten-Exzesses manche fiese Tat gewesen sein – antatschen, antanzen, rumfingern, anmachen. Die Nummer von Jungmännern eben, die gerne eine Freundin hätten, aber keine haben und so nie eine kriegen werden. Mies, aber straflos. Bisher.

Wir sollten nichts kleinreden. Frauen anfassen, das geht gar nicht, könnte Merkel sagen und Maas mit einem Gesetz beauftragen, das Grapschen bestraft. Es ist sprichwörtlich kein Kavaliersdelikt. Es ist entwürdigend, macht hilflos, es verletzt. Ein Frauen- und Volksversteher wie der Justizminister – wie kann er den Angegrapschten in die Augen sehen und erklären, er könne hier leider nichts tun?

Die Rheinfeier am Dom stellt daher in strafrechtlicher Hinsicht die Gretchenfrage: Wie halten wir es mit der Erheblichkeit? Strafrecht soll Ultima Ratio bleiben, eingeschränkt erlassen und zurückhaltend ausgelegt werden. Schließlich will niemand die halbe Gesellschaft kriminalisieren.

Andererseits ist es ein Witz, dass die Beleidigung im Strafgesetzbuch steht, die Belästigung jedoch nicht. Es wäre dem Anlass angemessen gewesen, und ein Gesetz hätte wohl in der Tat vieles von dem „abgedeckt“, was in Köln geschehen ist.

Es ist ein Versäumnis, dass die Politik diese Diskussion vermieden hat. Dabei wäre schnell klar geworden, dass die ethnische Herkunft von Antatschern eine untergeordnete Rolle spielt. Grabbler finden sich auch außerhalb von Migrantenmilieus überall, in Bussen, Büros und quer durch die sozialen Schichten. Grabbeln zu bestrafen, kann sinnvoll sein. Solange sie uns das Glotzen nicht verbieten.

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