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Update

Straßenschlachten in Athen: Streiks und Demonstrationen gehen weiter

Griechenland erlebt derzeit die größte Protestwelle seit dem Beginn der Schuldenkrise. Für Donnerstag ist die entscheidende Abstimmung über das neue Sparpaket geplant. Das Land steht vor dem nächsten Streiktag.

Eine „höllische Woche“ hatte das griechische Massenblatt „Ta Nea“ am Montag angekündigt – und am Mittwoch bewahrheitete sich die Prognose: Ein Massenprotest gegen das neue Sparprogramm der sozialistischen Regierung, der zunächst friedlich begonnen hatte, schlug am Dienstag um ins Chaos.

Am heutigen Donnerstag sollen die massiven Streiks weiter gehen, auch neue Demonstrationen sind für den Nachmittag geplant. Das öffentliche Leben wird weitgehend lahmgelegt, erneut sollen Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken bestreikt werden. Ärzte behandeln in Krankenhäusern nur Notfälle. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel sollen wieder für mehrere Stunden bestreikt werden.

Seit Tagen gab es beunruhigende Informationen aus der Anarchistenszene: „Athen wird brennen“, kündigten Chaoten an. Am Mittwochnachmittag entwickelten sich erste Scharmützel zwischen vermummten Chaoten und der Polizei. Dann flogen Steine und Molotowcocktails. Die Polizei antwortete mit Tränengasgranaten. Mit schweren Vorschlaghämmern zerkleinerten die Vermummten am Syntagmaplatz Marmorplatten zu Wurfgeschossen. Immer wieder versuchten militante Demonstranten, die Polizeiketten zu durchbrechen und zum Parlamentsgebäude vorzustoßen. Mindestens sieben Menschen wurden verletzt ins Krankenhaus gebracht. Das waren Stunden der Angst für Hunderte überwiegend ausländische Gäste, die in drei Luxushotels am Syntagmaplatz gefangen waren. Draußen bearbeiteten Chaoten mit Äxten und Eisenstangen die heruntergelassenen Stahlgitter vor den Fenstern und Türen der Hotels. Sie zertrümmerten Verkehrsampeln und Schaufenster. Dicke Rauchschwaden stiegen über dem Platz auf. Das weiße Tränengas mischte sich mit dem schwarzen Qualm brennender Müllcontainer und Zeitungskioske.

Jenny Psyllaki ist früh aufgestanden an diesem Mittwoch. Dabei könnte sie lange schlafen. Vor acht Monaten hat die 22-Jährige ihren Job als Telefonistin in einem Athener Callcenter verloren. Seither sucht sie nach einer neuen Stelle. „Aber viel Hoffnung habe ich nicht, schließlich sind vier von zehn Griechen meiner Altersgruppe ohne Arbeit“, sagt Jenny. Deshalb macht sie mit bei den Massenprotesten gegen die Sparpolitik der Regierung, zu denen die Gewerkschaften für Mittwoch und diesen Donnerstag aufgerufen haben. Das Land steht für 48 Stunden nahezu still. Der öffentliche Dienst liegt lahm, viele Geschäfte sind geschlossen. Griechenland erlebt die massivste Protestwelle seit Beginn der Schuldenkrise vor zwei Jahren. Von der „Mutter aller Streiks“ spricht der Radiosender „Skai“.

Jenny steht am Athener Omoniaplatz, über der Schulter einen dicken Knüppel mit der Fahne des kommunistischen Gewerkschaftsbundes „Pame“. Tausende Anhänger der altstalinistischen griechischen KP haben sich hier zu einem Demonstrationszug versammelt, der zum Parlamentsgebäude am Syntagmaplatz führen soll. „Das ist die Entscheidungsschlacht im Klassenkampf“, sagt Jenny. Neben ihr halten zwei junge Männer ein Plakat hoch: „Für die Krise soll die Plutokratie bezahlen“. Die Stimmung ist kämpferisch. In den Straßen Athens kocht der Volkszorn. Ein zweiter Protestzug formiert sich vor dem Hauptquartier des griechischen Gewerkschaftsbundes am Marsfeld. Auch diese Demonstranten wollen zum Syntagmaplatz marschieren.

Dort hatte die Polizei mobile Stahlzäune aufgebaut, um das Parlamentsgebäude abzuschirmen. Von 80 000 Demonstranten sprach die Polizei auf dem Höhepunkt der Demonstration, 200 000 waren nach Gewerkschaftsangaben auf den Beinen. Die Zahl der vermummten Chaoten wird auf mehrere Hundert geschätzt. Am Abend räumte die Polizei den Syntagma-Platz,

Aber an diesem Donnerstag drohen neue Unruhen. Denn dann sollen die Abgeordneten im Parlament endgültig über das neue Sparpaket abstimmen. Es enthält weitere Gehaltskürzungen sowie Massenentlassungen im öffentlichen Dienst und massive Steuererhöhungen. In erster Lesung wurde das Sparpaket am  Mittwochabend von den Abgeordneten angenommen.

Papandreou versucht, seinen Sparkurs zu verteidigen. Er appelliert in einer emotionalen Rede an die Mitglieder seiner sozialistischen Fraktion, „über sich hinauszuwachsen“. Papandreou spricht von „übermenschlichen Entscheidungen“, die den Abgeordneten abverlangt werden: „Wir müssen uns nicht nur gegenüber unseren Wählern, sondern gegenüber der Geschichte verantworten und das Unheil des Staatsbankrotts abwenden“, beschwört er die Abgeordneten. Der Ministerpräsident spricht vom „Kampf gegen die Schuldenbestie“, er erinnert an frühere griechische Staatspleiten: 1827, 1843, 1893 und 1932. Und er spricht vom griechischen Bürgerkrieg, dem selbstzerstörerischen Krieg der Griechen gegen die Griechen. Er schlug Wunden, deren Narben bis heute nicht verheilt sind. Papandreou erinnert daran, dass die Griechen in der Geschichte immer dann stark waren, wenn sie geeint waren – und schwach, wenn sie sich zerstritten. Wie jetzt.

Am Mittwoch versuchte Papandreou noch einmal, den konservativen Oppositionsführer Antonis Samaras auf eine gemeinsame Linie einzuschwören: telefonisch bot er Samaras an, mit ihm am Sonntag zum EU-Sondergipfel zu fliegen, um dort die Interessen Griechenlands gemeinsam zu vertreten. Samaras lehnte schroff ab. Bereits am Dienstag war ein Treffen der beiden Parteichefs in feindseliger Atmosphäre verlaufen. Als Studenten waren die beiden Männer Zimmergenossen am elitären Amherst College in der Nähe von Boston. Sie glaubten, Freunde zu sein. Jetzt sind sie erbitterte politische Feinde. Samaras mied den Blickkontakt mit Papandreou, reichte ihm nur widerwillig und flüchtig die Hand. Seine Miene wirkte wie versteinert. Die Fernsehbilder von dem Treffen der beiden zeigten: Die Chefs der beiden großen Parteien finden keinen Konsens. Samaras, dessen Partei das Land in den Jahren 2004 bis 2009 immer tiefer ins Schuldendesaster steuerte, will keine Mitverantwortung übernehmen. Papandreou kämpft allein. Scheitert das Sparpaket, sind nicht nur seine Tage als Premier gezählt. Dann dürfte auch der Staatsbankrott Griechenlands nur eine Frage von Wochen sein. Ein Schreckensszenario, das allerdings die Kommunistin Jenny nicht zu beunruhigen scheint: „Das wird nicht die Pleite des Volkes sein, sondern der Bankrott des Kapitals“, sagt sie.

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