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Strategisches Prestigeobjekt: Warum China in Tibet nicht nachgibt

Mit aller Härte gegen tibetische Unabhängigkeitsbestrebungen: Trotz weltweiter Proteste und der Androhung eines Olympia-Boykotts rückt China nicht von dieser Linie ab. Das Gebiet ist für das kommunistische Riesenreich höchst bedeutsam - auch militärisch.

China zeigt angesichts tibetischer Proteste für mehr Autonomie nicht die geringste Kompromissbereitschaft. Zu wichtig ist das Gebiet im Himalaya für die Führung in Peking, wie Experten erläutern. Das fängt bei der militärstrategischen Lage der Hochebene an und reicht über Wasservorkommen bis hin zu emotionalen Bindungen an die Region. Diese Mischung aus strategischem Denken und tiefsitzenden Gefühlen kann die heftigen Reaktionen der chinesischen Führung auf die Unruhen in Tibet erklären.

"Tibet ist für China sehr wichtig, nicht nur strategisch, sondern auch militärisch", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Fischer von der London School of Economics. China sei in Tibet "vor allem aus Gründen der nationalen Sicherheit". Ein Blick auf die Landkarte zeigt, was der Tibet-Experte meint: Das Gebiet liegt im Dreieck von China, Indien und Russland - wer Tibet kontrolliert, hat hier auf jeden Fall einen Vorteil. Die neu eröffnete Eisenbahnlinie nach Lhasa kann auch dazu dienen, in kurzer Zeit viele Truppen in die Region zu verlegen. Militärische Konflikte zwischen China, Russland und Indien gab es noch in den 60er Jahren.

Kostbarer Rohstoff Wasser

Was damals noch keine große Rolle spielte, ist im 21. Jahrhundert zu einem wichtigen Faktor geworden. In Tibet entspringen zahlreiche Flüsse, die das bevölkerungsreichste Land der Erde mit einem kostbaren Rohstoff versorgen: Wasser. "Es ist Chinas Wasserreservoir", sagt Ran Guangrong, Professor am Zentrum für Tibetische Studien an der Universität von Sichuan in der nordwestlichen Stadt Chengdu. "Wenn Tibet etwas geschehen würde, dann wäre ganz China davon betroffen."

Neben diesen rationalen Überlegungen heben Experten auch die emotionale Bedeutung hervor, die die Hochebene für die chinesische  Führung hat. Mao Tse-tung, der Gründungsvater des kommunistischen China, marschierte im Oktober 1950 in Tibet ein, obwohl er angesichts des Koreakrieges durchaus größere Probleme zu lösen hatte. Doch für Mao war das Gefühl genauso wichtig wie objektive Gründe - und für seine Erben ist das genauso. "Das Unglückselige ist, dass die Chinesen durch und durch, ganz und gar emotional  sind, was Tibet betrifft", sagt Paul Harris, ein Experte der Hongkonger Lingnan-Universität.

Kommunistische Partei muss ihre Stärke beweisen

Dahinter stecken diffuse Ängste und konkrete Befürchtungen: "Sie wollen keinen Präzedenzfall schaffen", sagt Harris. Denn wenn Tibet sich auch nur mit der geringsten Forderung durchsetzen kann, drohen andere Provinzen auch Mut zu schöpfen: die überwiegend muslimische Provinz Xinjiang oder die Innere Mongolei zum Beispiel. Auch deshalb wolle Peking zum Beispiel das Kosovo nicht anerkennen.

Solche Beispiele - selbst am anderen Ende der Welt - machten der Führung in Peking Angst, "weil es große Teile seines Territoriums mit Gewalt beherrscht", sagt Harris. Der Führungsanspruch der Kommunistischen Partei (KP) basiere auch auf der Tatsache, dass sie die einzige Führung ist, die es geschafft hat, China zusammenzuhalten, sagt Tsering Wangdu Shakya, Tibet-Experte an der Universität in Vancouver. "Wenn Tibet verloren würde, dann sähe die KP so aus, als sei sie unfähig, das Land intakt zu halten."

Peter Harmsen[AFP]

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