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Politik: Strauss-Kahn setzt Maßstäbe für politischen Anstand (Meinung)

Premierminister Jospin macht mit der moralischen Erneuerung der französischen Politik ernst. Wirtschafts-, Finanz- und Industrieminister Strauss-Kahn ist am Dienstagmorgen zurückgetreten, nachdem nur wenige Tage zuvor ein Vor-Ermittlungsverfahren wegen Korruption gegen ihn eröffnet worden war.

Premierminister Jospin macht mit der moralischen Erneuerung der französischen Politik ernst. Wirtschafts-, Finanz- und Industrieminister Strauss-Kahn ist am Dienstagmorgen zurückgetreten, nachdem nur wenige Tage zuvor ein Vor-Ermittlungsverfahren wegen Korruption gegen ihn eröffnet worden war. Damit bleiben Premierminister Jospin in der Nationalversammlung unangenehme Fragen der Opposition erspart. Und er kann sein Image als "Saubermann" weiter pflegen. Er hat es offenkundig zu Recht.

Doch der Preis für diese neue Ehrlichkeit ist hoch: Der im In- und Ausland respektierte und beliebte Strauss-Kahn ist für Jospin schwer zu ersetzen. Sowohl in der Wirtschaftspolitik der jetzigen Regierung, als auch bei den sozialistischen Machtstrategien für die Zukunft.

Lionel Jospin war angetreten, um mit den Pfründen und Begünstigungen der eigenen Leute, wie sie in der späten Mitterrand-Ära Usus war, aufzuräumen. Diese Versorgungspolitik à al française sorgte zuletzt für Schlagzeilen, als die EU-Kommissarin Edith Cresson mit ihren hemmungslosen Begünstigungen von Freunden und Vertrauten die Kommission in Brüssel zu Fall brachte. Cresson war zu sehr ein Ziehkind Mitterrands und dessen politischer Kultur, um darin Unrecht zu erkennen. Angewidert von diesen Praktiken hatte Jospin bei Amtsantritt einen "neuen republikanischen Pakt" mit dem Volk geschlossen.

Bisher mochte man sich über diese pathetische Formulierung mokieren, ebenso wie über die ständige Beschwörung der Werte der Nation. Doch jetzt zeigt sich, dass sie den Anspruch des Protestanten Jospin ausdrücken, in der Politik bestimmte ethische und moralische Grundsätze hochzuhalten. Er hat der französischen Politik und ihrer Glaubwürdigkeit damit mittelfristig einen großen Dienst erwiesen - und seinen persönlichen Zielen geschadet. Denn Strauss-Kahn war nicht nur der engste Vertraute Jospins im Kabinett, er stand für die erfolgreiche sozialistische Wirtschaftspolitik. Dem Pragmatiker war es gelungen, das Vertrauen der Wirtschaft und der Franzosen zu gewinnen. Seine Mischung aus keynesianischer und liberaler Wirtschaftspolitik kurbelte die Konjunktur an und ließ die Arbeitslosigkeit sinken. So etwas erregt auch international Aufsehen und ließ in letzter Zeit möglicherweise auch den deutschen Kanzler, der den französischen Sozialisten noch letztes Jahr als Traditionalisten abgetan hatte, so manches Mal neidisch über den Rhein schauen.

Doch auch in der sozialistischen Machtstrategie war der Wirtschaftsprofessor und Anwalt, der 1986 erstmals für die Sozialisten ins Parlament einzog, ein entscheidender Baustein: Er sollte 2001 zunächst den gaullistischen Bürgermeister von Paris, den skandalgebeutelten Tiberi, entthronen. Und ein Jahr später womöglich selbst Premierminister werden - unter einem sozialistischen Staatspräsidenten namens Jospin.

Aber auch wenn Jospin die moralischen Maßstäbe sozialistischer Politiker in Frankreich erneuert haben mag - er hat das Primat des Gemeinwohls über die persönlichen Interessen der Politiker nicht erfunden. Mit dem freiwilligen Rücktritt Strauss-Kahns, setzen die Sozialisten ein ungeschriebenes Gesetz der konservativen Vorgängerregierungen unter Beregovoy und Balladur fort, die damit begonnen hatten, von gerichtlichen Ermittlungen betroffene Minister zum Rücktritt zu zwingen. In einem Land, in dem bei jedem Regierungswechsel alle wichtigen Mitarbeiter von staatlichen Unternehmen und Institutionen ausgewechselt und versorgt werden, ist diese parteiübergreifende Kontinuität ein immenser Fortschritt.

Allerdings kann man in diesem Fall davon ausgehen, dass Jospin seinen Minister nicht zum Rücktritt drängen musste. Die Familie Strauss-Kahn hat in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass sie sich der Unvereinbarkeit bestimmter öffentlicher Ämter bewusst ist: Die Ehefrau von Strauss-Kahn, die renommierte Fernsehjournalistin mit den strahlend blauen Augen, Anne Sinclair, gab ihre sonntägliche Politiksendung auf, als ihr Mann 1997 in die Regierung einzog. Nun kann sie wieder auf Sendung gehen.

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