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Ärzte und Patienten hassen die Gebühr. Eine Arzthelferin zieht zehn Euro ein. Seit acht Jahren muss einmal im Quartal gezahlt werden. Foto: Thomas Lohnes/ddp

© ddp

Streit um Gebühr für Arztbesuche: In der Praxis

Die Zwangsabgabe für Patienten könnte bald wegfallen. Jetzt wankt auch schon die CSU.

Im FDP-geführten Gesundheitsministerium griffen sie die Vorlage sofort auf. „Wir freuen uns“, sagte eine Sprecherin von Ressortchef Daniel Bahr, „dass auch in anderen Parteien die Überlegung Halt findet, die Gebühr abzuschaffen.“

In der CSU-Landesgruppe dagegen waren sie erst verdattert – und dann stinksauer. Hatte doch ihr Parteifreund Markus Söder dem Koalitionspartner den Grund zur Freude geliefert – und zwar unabgesprochen und über ihre Köpfe hinweg. Es sei durchaus „denkbar, die Praxisgebühr abzuschaffen“, hatte Bayerns Finanzminister überraschend verkündet. Seine Begründung: die Milliardenüberschüsse im Gesundheitsfonds und die geringe Steuerungsfunktion der Gebühr.

Bisher waren das die Argumente der Liberalen. Die Union hat sich von der bei Patienten und Ärzten gleichermaßen verhassten Praxisgebühr bislang nicht trennen wollen. Und bei der CSU schien die Front am verlässlichsten zu stehen. Beharrlich warnten ihre Experten vor dem Einnahmeausfall und schlechteren Zeiten. Die finanzielle Erleichterung für die Patienten sei es nicht wert, auf längere Sicht mit dem Risiko von Zusatzbeiträgen erkauft zu werden, hieß es. Und in der Fraktionsarbeitsgruppe versicherten sich die Gesundheitsexperten noch am Dienstag einmütig, dass sich an dieser Sichtweise nichts geändert habe.

Dass sich Berlins Christsoziale über die Einmischung aus München entsprechend geärgert haben, zeigt die harsche Reaktion ihrer Landesgruppenchefin. Es müsse „den bayerischen Finanzen schon sehr gut gehen, dass der bayerische Finanzminister sich jetzt auch um die Gesundheitspolitik in Berlin kümmert“, lästerte Gerda Hasselfeldt.

Dahinter steckt auch der Versuch, die Bedeutung der Söder’schen Wortmeldung herunterzuspielen. Die Priorität der CSU liege „eindeutig bei der Senkung der Beitragssätze“, betonte Hasselfeldt. Diese könnten nach jetzigem Stand von derzeit 15,5 Prozent um 0,3 Punkte reduziert werden, womöglich schon im Jahr 2013. Das entspreche dann auch dem politischen Ziel sinkender Lohnnebenkosten. Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) argumentiert auf gleicher Linie, allerdings vorsichtiger. Für das Präventionskonzept, das sich die Koalition noch für diese Legislatur vorgenommen habe, werde man auch Geld in die Hand nehmen müssen, sagte er dem Tagesspiegel. Wenn dann noch Spielraum bleibe, sei an Beitragssenkungen, nicht aber an einen Wegfall der Praxisgebühr denken. Nur von ersterem nämlich profitierten „dann alle: Kranke und Gesunde, Arbeitnehmer und Arbeitgeber“.

Hasselfeldts gereizte Abwiegelei unterschlägt jedoch dreierlei. Söder ist kein gesundheitspolitischer Laie, bis vor kurzem war er noch bayerischer Gesundheitsminister. Er hat sich von seinem Parteichef immer gerne vorschicken lassen, wenn es galt, politische Stimmungen auszutesten. Und als „political animal“ spürt er womöglich schneller als manch anderer in der CSU, wenn der Wind sich dreht.

Auf der Kippe steht die Gebühr ja schon seit längerem. Das hat weniger damit zu tun, dass der Zwangsobolus die Patienten kaum von unnötigen Arztbesuchen abhält. Wichtiger ist, dass eine Bundestagswahl vor der Tür steht, dass die Kassen nicht mehr wissen, wohin mit ihrem vielen Geld, und dass die schwächelnde FDP politische Kompensation benötigt – etwa, um endlich dem umstrittenen Betreuungsgeld zuzustimmen. Gleichwohl hat es für einen entschlossenen Federstrich bisher nicht gereicht. Nun aber verdichten sich die Anzeichen, dass die Zwangsabgabe verschwinden könnte. So haben Techniker Krankenkasse und KKH-Allianz ihren zehn Millionen Versicherten versprochen, den Praxiseintritt bei nachgewiesenem Besuch von Vorsorgeuntersuchungen zurückzuerstatten. Und Kanzlerin Angela Merkel ließ ihren Sprecher kundtun, dass die Argumente zur Abschaffung der Gebühr „intensiv“ geprüft würden.

FDP-Chef Philipp Rösler jedenfalls hat sich vorgenommen, die Patienten bis zum Jahresende von dem unpopulären Obolus befreit zu haben. In Kassenkreisen ist man sich sicher, dass die CSU den Liberalen diesen Erfolg, wenn er sich denn schon als unverhinderbar erweist, nicht alleine zu gönnen bereit ist. In Bayern wird im kommenden Jahr ebenfalls gewählt. Und die mitgliederstarke Bayern-AOK, deren Wohl und Wehe die Gesundheitspolitiker der CSU immer im Auge haben, steht mit einem erwarteten Überschuss von 60 Millionen Euro inzwischen ganz gut da. Allerdings beharrte deren Sprecher Michael Leonhart im Gespräch mit dem Tagesspiegel darauf, dass der Einnahmeverlust durch den Wegfall der Gebühr aus dem Gesundheitsfonds „refinanziert“ werden müsse.

Dass man den Fonds und seine Verteilmechanismen „überarbeiten“ müsse, hat auch Söder anklingen lassen. Für nähere Details oder die Beschwerdeanrufe seiner Berliner Parteifreunde war der CSU- Mann am Dienstag allerdings nicht erreichbar. Er hatte sich krankgemeldet.

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