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Streit um Zulassung von Journalisten zum NSU-Prozess: Das Recht der Opfer

Der Streit um Plätze für türkische Journalisten beim NSU-Prozess in München wäre in der Welthauptstadt des Rechts unmöglich: Erfahrungen aus Den Haag.

Aus Den Haag gesehen mutet die Haltung des Münchner Gerichts zur Presseakkreditierung beim NSU-Prozess absurd an. In der Welthauptstadt des Rechts ist es selbstverständlich, dass Journalisten aus den Ländern, um die es in den Prozessen geht, Zugang zum Gerichtssaal haben.

Im Prozess des Jugoslawien-Tribunals gegen Ex-Präsident Slobodan Milosevic ging es um Opfer von Massenmorden in Bosnien, Kroatien und Kosovo. Es war für die Gerichtsverwaltung des UN-Gerichts selbstverständlich, dass die Medien dieser Länder – Nachrichtenagenturen, Fernsehen, Radio, die wichtigsten Zeitungen – ihren Platz im Gerichtssaal bekamen. Diese Journalisten informieren schließlich die Bevölkerung in den Ländern, um die es in den Verfahren geht. Information gilt als Recht der Opfer und Beitrag zur historischen Aufarbeitung.

Auch beim Tribunal wird um die knappen Plätze gestritten. Manche Medien wie CNN sind wichtiger als andere, und können genau deswegen auf einen Platz rechnen. Auch bekommen Nachrichtenagenturen wie Agence France Presse, Associated Press und Reuters eine Vorzugsbehandlung mit dem stichhaltigen Argument, dass sie ihre Informationen über ihren Kundenbestand weltweit weiterverbreiten. Andere wichtige Weltmedien wie die BBC werden auch immer ihren Platz bekommen, ebenso wie Medien des Gastlandes und andere Journalisten, die schon lange über die Arbeit des Tribunals berichten. Der Zeitpunkt der Anmeldung innerhalb der Akkreditierungspflicht spielt dabei keine Rolle. Entscheidendes Kriterium ist, die Weltbevölkerung im Allgemeinen und die betroffene Bevölkerung im Besonderen so gut wie möglich zu informieren.

Für viele der hundert Journalisten war 2002, am ersten Tag des Prozesses gegen Milosevic, das erste ehemalige Staatsoberhaupt vor einem UN-Gericht, kein Platz im Gerichtssaal. Wie selbstverständlich wurden auf der Wiese vor dem Gebäude Zelte aufgebaut, in denen Journalisten, die draußen bleiben mussten, den Prozess auf Bildschirmen verfolgen konnten. Auf den Gedanken, dass damit die Rechte des Angeklagten verletzt würden, kam niemand. Prozesse vor dem Tribunal wurden schon seit Jahren im Internet übertragen. So können sich Journalisten, Opfer und andere Interessierte, die sich die Reise vom Balkan nach Den Haag nicht erlauben können, ein Bild machen.

Ein öffentlicher Prozess ist schließlich auch im Interesse des Angeklagten, auch ein Recht des Angeklagten, um ihn vor stalinistischen Scheinprozessen zu schützen. In begründeten Ausnahmefällen kann der Angeklagte einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit stellen, zum Beispiel, wenn seine Gesundheitsprobleme besprochen werden sollen oder andere Fragen, die die Intimsphäre berühren, wie Familienprobleme. Dann wird aber kein Unterschied gemacht zwischen den Journalisten „drinnen“' und denen „draußen“. Gleiches gilt, wenn ein Zeuge aus Sicherheitsgründen nur hinter verschlossenen Türen aussagen will.

In oder bei Den Haag, der Welthauptstadt des Rechts, haben noch andere internationale Gerichtsinstanzen ihren Sitz, wie der Internationale Gerichtshof und der Ständige Schiedshof für Konflikte zwischen Staaten, der Sondergerichtshof für Sierra Leone für die Strafsache gegen Ex-Präsident Charles Taylor von Liberia, das Hariri-Tribunal in Sachen Terrorismus im Libanon und der Internationale Strafgerichtshof (ICC), der sich mit Verbrechen in afrikanischen Ländern wie Kenia beschäftigt. Auch in diesen Gerichtshöfen ist es selbstverständlich, dass die Presse aus den Ländern, um die es geht, Zugang zum Gerichtssaal bekommt. Der ICC hat sogar eine eigene Abteilung, die nicht nur dafür sorgt, dass die Journalisten ihren Sitzplatz bekommen. Die Journalisten werden willkommen geheißen und bekommen in Vorträgen eine Einführung in das Strafprozessrecht des ICC.

Thomas Verfuss

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