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Stuttgart 21 bleibt umkämpft.

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Stuttgart 21: Mit Geißler zum Kompromiss?

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus gab zu "Stuttgart 21" eine Regierungserklärung ab und holt den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Vermittler.

Wenn Politik den Rückwärtsgang einlegt, hört sich das ungefähr so an: "Wir werden eine Dialogagenda machen". Oder: "Der neue Bahnhof ist für die Menschen da". Gesagt hat das alles Stefan Mappus (CDU), Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, in seiner Regierungserklärung. Und es ist dies die Suche nach einem Ausweg. Denn Mappus hatte lange Zeit versucht, mit der harten Haltung gegen die Proteste in seinem Amtsgebiet vorzugehen. Seit Wochen demonstrieren zehntausende Menschen gegen das milliardenschwere Bahnprojekt Stuttgart 21 und Mappus hat den Fehdehandschuh der Bürger aufgenommen. Sein Motto: Was einmal in einer repräsentativen Demokratie beschlossen wurde, darf nicht rückgängig gemacht werden, weil das Volk plötzlich, nach einem langen Diskussionsprozess merkt, was da überhaupt passiert. Doch als sich vergangene Woche die Bilder von Wasserwerfern und blutenden Menschen durch das Ländle und das Land bahnten, muss es Mappus gedämmert haben. So geht das alles nicht weiter. Zu kompliziert ist die Gemengelage - für ihn. Er muss im März eine Landtagswahl bestehen und die Umfragen verheißen nichts gutes. Nur rund 35 Prozent würden für die CDU stimmen, was in Baden-Württemberg einem kleinen politischen Erdbeben gleich käme. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Grünen bald gleichauf stehen könnten. Hinzu kommt, dass auch Angela Merkel ihre Kanzlerschaft indirekt mit dieser Wahl verbunden hat, indem sie die Landtagswahl zur Abstimmung über Stuttgart 21 erklärt hat.

Jetzt will Mappus abrüsten. Mit einem Moderator. Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und Baden-Württemberger, soll als Mediator agieren. Es werde ein „unparteiischer Vermittler“ gebraucht, der alle Seiten einbeziehe, sagte Mappus. Es gehe jetzt vor allem darum, dass geredet werde. „Ich bin zuversichtlich, dass es einen Weg zur Versöhnung gibt“, sagte der Regierungschef. „Ich bin davon überzeugt, dass es ihm gelingt, einen guten Gesprächsfaden zu knüpfen.“ Geißler kenne das Land und genieße Ansehen über Parteigrenzen hinweg. Ob die Kritiker Geißler als Vermittler akzeptieren werden, ist noch nicht klar. Klar ist aber, das Geißler auch für Mappus selbst ein Rettungsanker ist. Denn er steckt in einer politischen Zwickmühle. Bliebe er bei seiner harten Haltung, nach dem Motto, beschlossen ist beschlossen, dürfte ihm das zahlreiche Stimmen kosten. Geht er aber zu weit auf die S-21-Gegner zu, kostet ihm das auch Stimmen - bei den eigenen Leuten. Mühle auf, Mühle zu.

Und so versucht er in seiner Regierungserklärung diesen Spagat. Er wirbt für das Bahnprojekt, lehnt den Baustopp ab, betont die Chancen des Projekts. Und mahnt die Prinzipien der repräsentativen Demokratie an. Er versichert aber auch den Gegnern des Vorhabens, seine Hand bleibe "ausgestreckt zum Dialog". Er sei zuversichtlich, "dass es einen Weg zur Versöhnung gibt". Und den muss Mappus eben im politischen Rückwärtsgang bewältigen. Begleitet wird er dabei von den lauten Zwischenrufen der Opposition, aber auch, am Ende, vom langen Applaus der Regierungsfraktionen.

Bereits gestern versuchte er auf die Protestler zuzugehen, indem er ankündigte, die Abrissarbeiten für den umstrittenen Tiefbahnhof Stuttgart 21 zu stoppen. Der Südflügel des alten Kopfbahnhofs bleibt vorerst stehen. Mappus, der sich Ende März 2011 zur Wiederwahl stellt, steht offenbar unter dem Eindruck der blutigen Demonstrationsbilder vergangene Woche. Mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken war die Polizei den Demonstranten entgegen getreten. Laut Polizei sollen 130 und nach Angaben der Kritiker sollen sogar bis zu 400 Menschen verletzt worden sein. „Diese Bilder dürfen sich nicht wiederholen“, sagte Mappus.

Wie könnten Verhandlungen aussehen?

„Es braucht einen Vermittler, den beide Seiten anerkennen“, sagt der Schauspieler Walter Sittler, einer der Köpfe des Protests. Am Mittwoch will Mappus eine solche Person in einer Regierungserklärung vorstellen. Entscheidend wird sein, ob die Landesregierung in derartigen Gesprächen echtes Entgegenkommen zeigt – oder ob sie nur ihre Wahlchancen verbessern will. Für Letzteres spricht die Ansage von Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU): Sie kündigte an, nur im Schlossgarten würden keine weiteren Bäume gefällt. Rund um den Nordflügel werden dagegen bis Februar 80 Bäume fallen.

Wie reagieren die Gegner des Projekts?

Die Grünen reagierten zurückhaltend. Es dürften keine neuen Fakten mehr geschaffen werden, sagte Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Die Stuttgarter Parkschützer, eine eher beharrliche Protest-Truppe, sehen in Mappus’ Vorstoß kein echtes Angebot. Sie wollen unverändert am kommenden Samstag eine Großdemonstration organisieren. Aber selbst die Grünen zweifeln, ob sie bei einem Wahlsieg das Projekt noch stoppen können. „Wir können nicht garantieren, dass das in acht Monaten noch möglich ist“, sagte Spitzenkandidat Winfried Kretschmann. Jetzt sei das aber noch möglich, daher kämpfe man für einen Vergabe- und Baustopp. Selbst eine Koalition mit der CDU ist für ihn eine Option. „Wir schließen nichts aus“, befand Kretschmann, allerdings „riechen die gegenwärtigen Entwicklungen nicht nach Schwarz-Grün.“

Welche Kompromissmöglichkeiten gibt es?

Offensichtlich wächst bei der Landesregierung die Erkenntnis, dass sie mit einer Law-and-Order-Politik nichts gewinnt. Mappus hat ein weiteres „Maßnahmenbündel“ angekündigt, um mit den Gegnern des Umbaus ins Gespräch zu kommen. Auch Bahn-Chef Rüdiger Grube brachte Änderungen auf den 100 Hektar Gleisfläche ins Spiel, über die jetzt noch Züge rumpeln und auf denen in Zukunft Häuser und Parks stehen sollen. Arbeiten, Wohnen und Einkaufen will er kombinieren, in dem neuen Quartier will er nur Elektroautos fahren lassen. Eine „CO2-Vorbildstadt“ schwebt ihm vor. Von einem Baustopp will aber keiner der Befürworter etwas wissen. Es wäre ein Etappensieg für die Gegner – und die Bahn nennt als Kosten eine sechsstellige Summe – pro Tag.

„Die Demokratie lebt vom Kompromiss“, sagt Ex-Kanzler Helmut Schmidt. Das Delikate an Stuttgart 21 ist aber, dass es einen echten Kompromiss nicht geben kann. „Ein bisschen schwanger geht nicht“, sagt ein einflussreicher Bahn-Manager. Der Bahnhof kann entweder unter die Erde verlegt werden oder bleiben, wo er ist. Den Kopfbahnhof 21, der Vorschlag der Gegner, sehen Land und Bahn nicht als Möglichkeit – schon, weil es keine Planungen und Genehmigungen dafür gibt. Das dauert dem Staatskonzern zufolge rund zehn Jahre. Die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm könnte jedoch ohne den Tiefbahnhof gebaut werden – allerdings wäre der Fahrzeitgewinn für die Züge dann geringer.

Ist ein Ende des Bauprojekts überhaupt noch möglich?

Die Verträge sind seit Ende 2009 rechtskräftig. Das bedeutet, dass ein Ausstieg teuer würde. Wie sehr, darüber gehen die Meinungen auseinander. 1,5 Milliarden Euro würde die Bahn verlieren, argumentiert Technik-Vorstand Volker Kefer: 760 Millionen, die sie von der Stadt Stuttgart für die frei werdenden Grundstücke erhalten hat, müsste sie zurückzahlen, 440 Millionen Planungskosten wären perdu, zudem 240 Millionen für bereits vergebene Aufträge. Hinzu kämen laut Bahn 1,5 Milliarden Euro für die Modernisierung der veralteten Schienen des Kopfbahnhofs – seit 15 Jahren hat der Konzern kaum etwas in die Stuttgarter Infrastruktur investiert.

Gegner des Projekts beziffern die Ausstiegskosten dagegen nur mit einer halben Milliarde Euro. Die Rückübertragung der Grundstücke sei nur eine Umbuchung, auch die Planungskosten müsse man nicht komplett in den Wind schreiben.

Könnte es doch noch einen Volksentscheid geben?

Die von der SPD angestrebte Volksabstimmung über Stuttgart 21 wird es unter Schwarz-Gelb nicht geben. Die Gutachter, die die Regierung beauftragt hat – die Verfassungsrechtler Paul Kirchhof und Klaus-Peter Dolde – halten diesen Weg für „deutlich unzulässig“. Bau, Unterhalt und Betrieb von Schienen und Bahnhöfen sind demnach allein Sache des Bundes. „Wenn das Landesvolk etwas dazu sagen würde, wäre das null und nichtig, weil keine Kompetenz besteht“, sagt Kirchhof. Nur bei der Ausgestaltung der neuen Stadtfläche dürften die Schwaben mitreden.

Daneben strebt mit den Parkschützern ein Teil der S-21-Gegner eine vorzeitige Auflösung des Landtags an. Theoretisch ist das möglich, auch wenn in fünf Monaten ohnehin gewählt wird. Dazu müssen sie 10 000 Unterschriften sammeln, um beim Innenminister einen Antrag zu stellen. Laut Landesverfassung müsste dann ein Sechstel der Wahlberechtigten, also 1,28 Millionen Baden-Württemberger, die Auflösung beantragen. Erst dann käme es zu einer Abstimmung, bei der dann die Mehrheit der Stimmberechtigten – nicht der abgegebenen Stimmen – für die Auflösung votieren müsste. Angesichts dieser Hürden gilt die Wahl im März als eigentliche „Volksabstimmung“ – so will es auch Kanzlerin Angela Merkel .

Gibt es neue Erkenntnisse zum Polizeieinsatz?

Bilder, auf denen die Polizei gegen Rentner und Schüler vorgeht, fügen Mappus’ Wahlkampagne schweren Schaden zu. Er sicherte deshalb eine „Aufklärung der Vorkommnisse“ zu. Bislang will er aber keine Hinweise auf mögliches Fehlverhalten der Polizei bei der Demonstration am Donnerstag gefunden haben. Die Polizei versprach gleichwohl eine lückenlose Aufklärung. Sie zeigte bei einer Pressekonferenz Videos vom Einsatz im Schlossgarten. Es gebe jede Menge „Bilder von Aggression“, die der Polizei entgegengeschlagen sei, berichtete Landespolizeipräsident Wolf Hammann. Stuttgarts Polizeipräsident Siegfried Stumpf sagte: „Es tut uns leid, dass das so gelaufen ist.“ Die Eskalation führt er auf Fehler zurück. So habe ein Einsatzfahrzeugfahrer abgedreht, als sich Demonstranten näherten. Dadurch sei die Einfahrt der Fahrzeuge ins Stocken geraten. „Hätte man da schneller reagiert, wären wir möglicherweise reingekommen“, sagte er. Auch das massive Auftreten der Demonstranten habe die Polizei überrascht. „Ich hätte nie gedacht, dass uns so starker und entschiedener Widerstand entgegenschlägt.“

Bei der Staatsanwaltschaft gibt es derweil „eine Vielzahl von Anzeigen“ gegen Polizisten. Diese würden nun geprüft, sagte eine Sprecherin.

Sind die Kosten des Projekts tatsächlich gestiegen?

Der neue Bahnhof und die ICE-Strecke nach Ulm werden gut sieben Milliarden Euro kosten – oder mindestens elf, je nachdem, ob man Befürworter oder Gegner fragt.

1995 gab es eine erste Studie darüber, wie teuer die Tieferlegung des Bahnhofs werden könnte. Auf 2,5 Milliarden Euro zu damaligen Preisen kamen die Gutachter. 2008 taxierte die Bahn das Vorhaben auf 3,1 Milliarden, Ende 2009 waren es schon 4,5 Milliarden, inklusive Risikopuffer.

Die Neubaustrecke nach Ulm sollte 2004 noch zwei Milliarden Euro kosten, heute sind es 2,9 Milliarden. Selbst das halten die Kritiker für untertrieben: Die Bundesregierung behauptet, ein Kilometer der tunnelreichen Strecke werde 50 Millionen Euro kosten. Das sei „höchst unseriös“ findet Winfried Hermann von den Grünen, der Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses. Der Gotthard-Basistunnel etwa koste 150 Millionen Euro pro Kilometer. Wie viel es am Ende sein wird, lässt sich bei einem Großprojekt mit zehn Jahren Bauzeit nie sagen – doch selbst Bahn-Chef Grube hält höhere Kosten für möglich. Zu recht, wie die Erfahrung zeigt. Oft kommen Preissteigerungen bei Großprojekten erst ans Licht, wenn es keinen Weg zurück mehr gibt. Dann muss zusätzliches Geld fließen, will man keine Investitionsruinen riskieren.

Können Güterzüge auf der Neubaustrecke Stuttgart–Ulm überhaupt fahren?

Im Prinzip schon. Allerdings mit Einschränkungen: Nur leichte Güterzüge werden die enorme Steigung auf dem Weg nach Ulm schaffen, sagen Kritiker. Der Trend beim Güterverkehr gehe aber derzeit zu schweren Zügen, die bräuchten dann eine zusätzliche, teure Lokomotive. Flacher könne man nicht bauen, das würde zu viel kosten, sagt die Bahn. Güterzüge könnten zudem nur nachts unterwegs sein, wenn keine Personenzüge unterwegs sind. Grund: Bei einer Begegnung mit einem pfeilschnellen ICE könnte durch den Windstoß Ladung durch die Luft fliegen.

Ist der Boden geeignet?

Ein Restrisiko bleibt immer – die Schwabenmetropole ist auf porösem Gestein gebaut. Aber die Planer halten die Gefahren bei den geplanten Tief- und Tunnelbauten für beherrschbar. Die Stuttgarter Mineralquellen, um die sich viele Bürger sorgen, lägen zwischen 30 und 50 Meter tiefer als der neue Bahntunnel. Der existierende, in den 1980er Jahren gebaute S-Bahn-Tunnel reiche tiefer in den Untergrund als der Tiefbahnhof – auch da gebe es bis heute keine Probleme. Durch ein aufwändiges Überwachungssystem will der Bauherr zudem dafür sorgen, dass im Untergrund kein Ungemach droht. Die Gegner sehen Stuttgart 21 dennoch als massiven Eingriff, durch den die Mineralquellen gefährdet werden oder gar versiegen könnten. Geologen fürchten, dass beim Bau des Bahnhofs und des knapp zehn Kilometer langen Fildertunnels zum Flughafen Wasser in die Gipskeuschicht eindringt. Stark quellfähiges Anhydrit, warnen sie, könne dann zu ähnlichen Bodenhebungen führen wie im badischen Städtchen Staufen, wo Millionenschäden entstanden sind.

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