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Update

Stuttgart-21-Schlichtung: Geißler: So hat das keinen Sinn

Bis zum Nachmittag saßen Kritiker und Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart 21 an einem Tisch. Die Kontrahenten lieferten sich einen harten Schlagabtausch. Bei der Diskussion um die Stellzeiten von Zügen griff Heiner Geißler durch.

Am Nachmittag hängte sich die Diskussion um die Kapazitäten der verschiedenen Bahnhöfe an den Stellzeiten der Züge auf. Gegenstand der Diskussion war, ob ein Zug im Regionalverkehr wirklich mit einer Minute Stehzeit auskommt, wie es in der Simulation der Deutschen Bahn angenommen wird. Da platzte Schlichter Heiner Geißler in die Diskussion: "Liebe Leute, so hat das doch alles keinen Sinn!" Viele Bahnfahrer würden ausschließlich die Bahn nutzen. "Ein Aufenthalt von einer Minute, da würden Sie aber was erleben", sagte Geißler in Richtung der Bahn. "Mit solchen Zahlen, die die Menschen nicht glauben können, kommt es dann auch zu Vertrauensverlusten", fügte er hinzu.

Außerdem drängte er darauf, dass die Teilnehmer der Diskussion beim Thema bleiben sollten. Es gehe um die Kapazitäten. "Die Leute sind doch sonst total verwirrt, wenn sie hier ein paar Stunden zugehört haben", erklärte er. Gegen den Widerstand der Teilnehmer bestand Geißler immer wieder darauf, dass Fakten verständlich erklärt werden.

Seit der Pause widmeten sich die Gegner und Befürworter des Bauprojektes Stuttgart 21 den Kapazitäten des Kopfbahnhofs. Für die Gegner sprach der ehemalige Bahnhofsvorsteher in Stuttgart, Egon Hopfenzitz. "Jeder Bahnhof mit mehr als zwei Gleisen habe Probleme mit Gleiskreuzungen", sagte er. Das betreffe auch den Tiefbahnhof. Um solche gegenseitige Behinderungen zu minimieren, würden Fahrpläne gemacht, denn es gebe genug andere Gleise. "Dafür braucht man keinen neuen Bahnhof bauen", sagte Hopfenzitz.

Dem widersprach der Experte Christian Becker. Bei einem Kopfbahnhof würden mehr Gleise blockiert, weil sie zum Ein- und zum Ausfahren genutzt werden müssten. Hopfenzitz meinte dazu, das sei keine Spezialität des Kopfbahnhofes. Simulationen sollten zur Klärung beitragen.

So mancher kam dann doch in Bedrängnis: "Es wurde die Behauptung aufgestellt, dass es beim Tiefbahnhof sogar noch schlechter ist als beim Kopfbahnhof. Dazu müsste die Bahn jetzt mal Stellung nehmen. Oder wollen Sie, Frau Ministerin?" Panisches Kopfschütteln bei Umweltministerin Tanja Gönner, allgemeines Gelächter in der Runde. "Das habe ich mir fast gedacht", sagte Schlichter Heiner Geißler und lachte. Selbst wenn der Tiefbahnhof mehr Kapazitäten hätte, würde das nicht als Argument für den Bau ausreichen, meinte Geißler. Dem widersprach Robert Palmer. "Wenn der Tiefbahnhof mehr Kapazitäten hätte, könnte ich mich als Schienenpolitiker dem Projekt nicht verweigern", sagte er.

Streit bis in die Mittagspause

In der mühsamen Diskussion um Stuttgart 21 schenkten sich beide Seiten nichts. Bis in die Mittagspause hinein warfen sich die Kontrahenten immer wieder gegenseitig Falschaussagen vor. Schlussendlich konnte Geißler die Pause doch noch durchsetzen, indem er die Diskutierenden aufforderte, ihre Wortmeldungen zurückzustellen. "Wann treffen wir uns denn wieder?", fragte Geißler und witztelte: "Wir können ja ein bisschen schneller essen." Um 13:30 wurde die Diskussionen fortgeführt.

Immer wieder musste Geißler darauf hinweisen, dass es sich nicht um ein Fachgremium handele, sondern auch die Öffentlichkeit die Argumente verstehen müsse. Beide Seiten diskutierten über den Güterverkehr, der in der Präsentation der Bahn nicht vorkam. Nach knapp einer Stunde Diskussion stellte Geißler fest: "Es gibt also eine größere Güterzugkapazität, ob sie gebraucht wird oder nicht." So zieht sich die Diskussion mühsam von einem Punkt zum nächsten. Unterbrochen ab und an von Gelächter, wenn wieder jemand vergisst sein Mikrofon anzuschalten oder Schlichter Geißler sich freut, einen Sachverhalt richtig zusammengefasst zu haben.

Geißler forderte sachliche Widersprüche bei der Bewertung des Projekts müssten im Verlauf der Schlichtung aufgeklärt werden. "Die Vorträge waren sehr komplex", sagte er. Die Bürger müssten die Argumente nachvollziehen können. Dafür fragte er auch selbst immer mal wieder nach und forderte eine klare Sprache von allen Teilnehmern. "Das versteht außer den Fachleuten kein Mensch", kritisierte er unter anderem die Seite der Bahn und versuchte die Sachverhalte für die Öffentlichkeit zusammenzufassen. Wenn Sie etwas zu sagen haben, machen Sie doch bitte das Mikrofon an", wies Heiner Geißler Zwischenrufer beider Seiten zurecht. Mit etwas Mühe und wohl dank seiner Erfahrungen aus vielen Tarifverhandlungen konnte er die Diskussion strukturieren.

Einleitende Präsentationen sind widersprüchlich

Boris Palmer war zuvor energisch für die Stuttgart-21-Gegner ins Match eingestiegen. "Ihre Prämissen sind nicht unwidersprochen", sagte Tübingens Oberbürgermeister in Reaktion auf den Vortrag des Vorstands Technik der Deutschen Bahn, Volker Kefer. Der bestehende Kopfbahnhof sei jetzt schon leistungsfähiger als der geplante Bahnhof. Stuttgart 21 sei auch nicht das größte Bauprojekt. "Es wird hier viel mit Superlativen gearbeitet, die meisten sind falsch."

"Wir sind der Meinung, dass Ihre Planung ein Rückschritt und kein Fortschritt ist", so Palmer. "Der Nutzen für den Güterverkehr ist Null." Es sei viel wichtiger, die Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel auszubauen. "Stuttgart 21 ist schlicht die falsche Priorität."

Es sei auch falsch, dass der Tiefbahnhof und die Neubaustrecke nach Ulm ein Geschenk des Bundes für Baden-Württemberg sei. "Das Geschenk kostet Stadt und Land 2,5 Milliarden Euro." Es wäre besser, das Geld in Bildung zu stecken, argumentierte Palmer.

Zuvor hatte Kefer am Freitag beim Treffen im Stuttgarter Rathaus zur strategischen Bedeutung und der Leistungsfähigkeit des umstrittenen Vorhabens Stuttgart 21 geworben. Das Ziel der Bahn sei es, fachliche Hintergrundinformationen zu vermitteln. Die Gegner sahen das wohl anders und reagierten mit Kopfschütteln auf den Vortrag Kefers.

"Fakten sollten nicht ignoriert werden"

Nach Palmer meldete sich Gangolf Stocker, Mitglied der Bürgerinitiative Leben in Stuttgart - keine Stuttgart 21, noch einmal für die Gegner zu Wort. Die von Kefer befürchteten Gleiskreuzungen und daraus resultierende Verspätungen gebe es kaum in Stuttgart. "Leipzig und Stuttgart sind die pünktlichste Bahnhöfe. Beides sind Kopfbahnhöfe." Diese Fakten solle man nicht ignorieren.

Kefer hatte betont, ein Durchgangsbahnhof wie er in Stuttgart geplant ist, habe wichtige Vorteile gegenüber einem Kopfbahnhof. So gebe es dadurch geringere Kosten. Kefer verwies unter anderem darauf, dass Durchgangsbahnhöfe erhöhte Kapazitätsmöglichkeiten bieten. Außerdem gebe es vor allem wegen weniger Gleiskreuzungen auch weniger Störanfälligkeiten. Kopfbahnhöfe seien historisch gewachsen, würden aber nicht mehr der aktuellen Schienennetzsituation übereinstimmen.

Der Live-Stream ist unter den Internetadressen: www.phoenix.de, www.heute.de oder www.swr.de zu sehen.

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In Stuttgart biete ein Durchgangsbahnhof "ein Drittel mehr Leistungsfähigkeit" gegenüber dem bisherigen Kopfbahnhof, sagte Kefer. Konkret könne dadurch die Kapazität um mehr als 200 Züge pro Tag erhöht werden - bei "gleichzeitiger Halbierung" der Gleiszahl.

Strategisch gehe es der Bahn bei der angestrebten Verkürzung der Reisezeit darum, die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Flugverkehr zu gewährleisten. Man habe die Erwartung, Marktanteile beim Fernverkehr zu gewinnen. Zudem wolle die Bahn die Reisenden dazu bewegen, nicht mit dem Auto zu fahren, sagte Kefer. Der Technikvorstand versprach durch den "Lückenschluss im Südwesten" einen Zuwachs von zwei Millionen Reisenden pro Jahr, die von der Straße auf die Schiene wechseln. Dies bedeute auch eine "erhebliche Entlastung der Umwelt".

"Die Frage, die sich stellt, ist doch: Will der Südwesten bei den Veränderungen mitmachen oder nicht?" Das sei eine ketzerische Frage, die aber gestellt werden müsse.

Geißler mahnt zur Sachlichkeit

Zu Beginn der Sitzung hatte Schlichter Heiner Geißler gesagt: "Wir werden keinen neuen Bahnhof erfinden und wir können Stuttgart nicht zu einer ebenen Stadt machen." So warnte er vor überzogenen Erwartungen bei der ersten Schlichtungsdebatte im Stuttgarter Rathaus. Thema der ersten Runde ist die Leistungsfähigkeit der geplanten unterirdischen Durchgangsstation anstelle des bisherigen Kopfbahnhofs. Beim Vorstellen der Teilnehmer hätte Geißler fast Ministerpräsident Stefan Mappus vergessen, die Spannung in der Runde löste sich kurz im allgemeinen Gelächter. Auch der Hinweis Geißlers man solle die Mikrofone anschalten, bevor man spreche, löste Heiterkeit aus, wurde aber in der Diskussion dennoch immer wieder vergessen.

"Wir wollen hier keine Predigten hören und keine Glaubensbekenntnisse." Es gehe um eine Fach- und Sachschlichtung, erklärte Geißler. Ein Faktencheck sei unbedingt notwendig. "In einer modernen Mediendemokratie mit Facebooks und Blogs müssen demokratische Entscheidungen immer wieder erläutert und erklärt werden", sagte Geißler mit Bezug auf die politische Legitimation des Projektes Stuttgart 21.

Die Debatte hatte großes Interesse geweckt. "Wir diskutieren seit 20 Jahren, aber ich freue mich, dass die Schlichtung auf so hohes Interesse stößt", erklärte Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster.

Grube hofft auf Meinungsumschwung

Die Seite der Befürworter wird von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) angeführt. Bei den Gegnern ist Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) mit von der Partie. Die Gegner halten die Verlegung des Hauptbahnhofs unter die Erde und seinen Anschluss an die Schnellbahntrasse mit Kosten von 4,1 Milliarden Euro für viel zu teuer und unnötig.

Bahnchef Rüdiger Grube erhofft sich von der Schlichtung einen Meinungsumschwung zugunsten des Milliarden-Projekts. Er sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass ein Abwägen der Argumente in der Öffentlichkeit - insbesondere was Stuttgart betrifft - eine entsprechende Änderung in der öffentlichen Meinungsbildung bringt." Der Bahnchef unterstrich, dass er auch große Zustimmung zu dem umstrittenen Vorhaben bekomme. "Ganz viele wollen es."

Auch Merkel stellt sich hinter das Projekt

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte sich bei einem Auftritt in Heilbronn erneut hinter das Projekt. Sie kritisierte aber, dass oftmals bei Großprojekten die Kosten zu Beginn kleingerechnet werden. "Es wäre auch nicht schlecht, wenn bei Großprojekten die Kostenschätzungen mal einigermaßen stimmen würden", sagte die CDU-Vorsitzende am Donnerstagabend bei einer Regionalkonferenz ihrer Partei. Sie appellierte an die Träger solcher Vorhaben: "Sagt am Anfang den richtigen Preis", dann sei die Enttäuschung hinterher nicht so groß. Auch wegen dieser Fehler falle es der Politik oft schwer, die Projekte zu verteidigen.

Baden-Württemberg brauche das Bahnprojekt Stuttgart 21, um verkehrlich und wirtschaftlich nicht abgehängt zu werden, sagte Merkel. "Das ist kluge Zukunftspolitik, wie wir sie brauchen." Deshalb müsse die CDU standhaft bleiben. (mit dpa/dapd)

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Janina Guthke

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