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Politik: Substanz unter Scherben

Von Christoph von Marschall

Zieht George W. Bushs innenpolitische Krise jetzt auch die Außenpolitik der Weltmacht in Mitleidenschaft? Daheim ist der Präsident auf dem Tiefpunkt seines Ansehens, im Kongress gehen seine Parteifreunde auf Distanz zu ihm, Affären und Skandale rücken näher heran an das Weiße Haus. Da könnten die vermehrten Auslandsreisen der jüngsten Zeit wie Flucht wirken – wüsste man nicht, dass sie langfristig geplant sind. Doch auch draußen sind Erfolge Mangelware. Beim Südamerikagipfel wurde Bush ausgepfiffen, auf seiner Asienreise wirft man ihm fehlendes Fingerspitzengefühl vor, weil er ausgerechnet Japan, Chinas Erzfeind, als Bühne für Reformratschläge an Peking nutzt. Sein Demokratiekonzept für die arabische Welt torpedierten vor wenigen Tagen selbst enge Verbündete wie Ägypten. Und Iran tanzt Amerika mit seinem trotzigen Festhalten am Atomprogramm auf der Nase herum.

Eine Schwächung der USA in der Weltpolitik müsste nicht nur die Amerikaner beunruhigen, sie wäre auch eine Bedrohung für Europa, für Deutschland. Bei allen Meinungsverschiedenheiten über die Irak- oder die Klimapolitik ist Amerika ein unverzichtbarer Ordnungsfaktor. Wer soll ihn ersetzen? Die Vereinten Nationen, die nicht einmal zur inneren Reform fähig sind? China oder Russland, die wenig auf Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat geben? Und Europa muss sich reparieren und organisieren, ehe es in der Weltpolitik führen kann.

Amerikas Autorität ist angeschlagen durch die Folterskandale und seine offenkundigen Schwierigkeiten, den Irak zu befrieden. Aber von hier bis zum völligen Machtverfall ist es noch ein weiter Weg. In all den Regionen, die jetzt für Bushs Missvergnügen stehen, lassen sich Gegenbeispiele finden. In Südamerika ist Venezuela ein Ärgernis für Bush, Mexiko und Brasilien sind dagegen verlässliche Verbündete. Bedeutsamer als das Scheitern der Demokratiekonferenz in Bahrain ist die Befreiung Libanons vom syrischen Klammergriff. Irans Weigerung, sein Atomprogramm aufzugeben, ist weniger ein Rückschlag für Amerika als ein Scheitern der Europäer, sie führen schließlich die Verhandlungen. Die Bilanz in Asien ist so schlecht nicht, Demokratie und Wirtschaftsreform sind dort eher auf dem Vormarsch. Und was Freiheitsappelle vom falschen Boden betrifft, darf man in Berlin nicht zu streng sein: Ronald Reagan wählte für seinen Appell an Gorbatschows Sowjetunion, Freiheit und Demokratie zuzulassen und die Mauer einzureißen, die Stadt, in der Hitler seinen Vernichtungskrieg im Osten plante – und erntete Jubel.

Amerikas Außenpolitik hat sich von Bushs erster zu seiner zweiten Amtszeit gewandelt. Weg vom regime change per Militärintervention, hin zu multilateralen diplomatischen Ansätzen und dem Werben um Verbündete, wie es in diesen Wochen die neue Bundesregierung erfährt. Doch, erstens, ist Bush selbst ein denkbar schlechter Repräsentant der Veränderung, mit ihm verbindet sich die Erinnerung an das alte Denken. Condoleezza Rice verkörpert den neuen Ansatz, gerade tourt sie wieder unermüdlich durch den Nahen Osten, drängt Israelis und Palästinenser zu Kompromissen. Der Einsatz von soft power ist, zweitens, weniger spektakulär und bringt keine schnellen Erfolge; das trägt zum Eindruck außenpolitischer Schwäche Amerikas bei. Und auch Rice muss erst einmal das Misstrauen überwinden, das Bush in seiner ersten Amtszeit hervorgerufen hat. Die Substanz der US-Außenpolitik ist so schlecht nicht, nur hat sie in Bush keinen glaubwürdigen Vertreter.

Vor allem aber fehlt eine Antwort auf die drängendste Frage: Was ist das Projekt für seine zweite Amtszeit? Hat er eines oder wird er hauptsächlich damit beschäftigt sein, die Irrtümer aus der ersten teils zu verteidigen, teils zu reparieren? Er muss sich gegen Vorwürfe wehren, die Nation über die Kriegsgründe belogen zu haben. Es kostet politische Energien und Geld, die Koalitionen im Irak und im Kampf gegen Terror zusammenzuhalten. Die Verwaltung eines Reparaturbetriebs aber ist zu wenig, um die verbleibenden drei Jahre zu einem Erfolg zu machen. Die Welt braucht Amerika als Ordnungsmacht, die mit sich reden lässt.

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