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Syriens politische Elite: Viele wollen fliehen - doch sie werden wie Geiseln bewacht

Dem Machthaber laufen immer mehr Vertraute weg. Und der Westen dringt auf schärfere Sanktionen. Doch die Diplomatie kommt nicht voran. Wie geht es in Syrien weiter?

Die Machtbasis des syrischen Staatschefs Baschar al Assad bröckelt weiter: Nachdem sich mehrere ranghohe Offiziere abgesetzt haben, hat nun mit dem syrischen Botschafter im Irak, Nawaf Fares, der bislang ranghöchste Diplomat die Seiten gewechselt. Derweil verstärken die westlichen Staaten den Druck, mit einer Resolution Assad ein Ultimatum zu setzen.

Was bedeutet die Flucht des Diplomaten?

Sein Platz sei ab sofort in den Reihen der Opposition, sagte Fares am Donnerstag und rief alle Mitglieder der regierenden Baath-Partei auf, es ihm gleichzutun. Regimegegner in Istanbul erklärten, Fares werde in der Türkei erwartet. Es sei damit zu rechnen, dass künftig noch weitere Diplomaten und Regierungsmitglieder dem Assad-Regime den Rücken kehren. Mahmut Osman, Türkei-Sprecher des Oppositions-Dachverbandes SNC, sagte dem Tagesspiegel in Istanbul, aus Sorge um eine Massenflucht von Beamten lasse das Regime in Damaskus die Familienangehörigen von hochrangigen Amtsträgern nicht aus den Augen. „Sie sind wie Geiseln. Wir hören von vielen Beamten in Syrien, dass sie fliehen wollen, aber aus Angst um ihre Familie dort bleiben“, sagte Osman. Nur jene, die ihre Angehörigen in Sicherheit wüssten, setzten sich ab.

Die Flucht von Fares wird als besonders herbe Niederlage für das Assad-Regime gewertet. Der britischen BBC zufolge ist Fares Oberhaupt eines großen sunnitischen Clans an der Ostgrenze Syriens zum Irak. Sollte sich der ganze Clan nun gegen Assad stellen, würde dies syrische Truppen binden, die derzeit in anderen Landesteilen gegen militante Regimegegner kämpfen. Auch Iraks Außenminister Hoshyar Zebari sagte, der Rücktritt von Fares sei eine Überraschung, denn dieser sei stets treuer Anhänger der Regierung in Damaskus gewesen. Laut Zebari flog Fares zunächst nach Katar. Oppositionsvertreter in Istanbul sagten aber, der Ex-Botschafter werde früher oder später in der Türkei erwartet. Dort halten sich bereits rund 37 000 zivile Flüchtlinge aus Syrien auf.

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Welche Strategie verfolgt der Westen?

Im UN-Sicherheitsrat wollen die Vetomächte USA, Frankreich, Großbritannien sowie die beiden nicht ständigen Mitglieder Deutschland und Portugal dem Assad-Regime ein Ultimatum stellen: Falls die Regierungseinheiten „innerhalb von zehn Tagen“ das Töten nicht einstellen, sollen gezielte UN-Sanktionen – etwa Wirtschaftsstrafen – gegen Assad und seine Herrscherclique aktiviert werden. Der deutsche UN-Botschafter Peter Wittig sagte, Ziel müsse sein, dass der Sicherheitsrat eine „robuste Resolution“ verabschiedet – „eine Resolution, die auch Zwangsmaßnahmen ins Auge fasst“.

Noch findet sich die Drohung der Westmächte gegen Assad lediglich in einem Resolutionsentwurf; der Text ging in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag an den Sicherheitsrat. Und bislang hat die UN-Vetomacht Russland keine Signale gesendet, dass sie von ihrer Pro-Assad-Linie abrückt. Russland – und auch China – wollen von UN-Sanktionen gegen den Diktator nichts wissen. Beide können Entscheidungen des Sicherheitsrates blockieren. Die Russen unterhalten enge wirtschaftliche und politische Beziehungen nach Damaskus. Solange aber Moskau und Peking ihre schützende Hand über Assad halten, droht auch dieser westliche Vorstoß im Sicherheitsrat zu scheitern. Der türkische Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan will kommende Woche in Moskau mit der russischen Führung über das Thema Syrien sprechen.

Wie geht es im Sicherheitsrat weiter?

Am Donnerstag sollten im Sicherheitsrat die Konsultationen über den aktuellen Entwurf der Westmächte beginnen. Ob und wann das Gremium über den Plan abstimmt, ist laut Unterhändlern offen. Vor allem verlangen die Westmächte von Assad, den Friedensplan des internationalen Syrien-Sondergesandten Kofi Annan sofort umzusetzen. Der Plan sieht eine Waffenruhe und einen politischen Dialog mit der Opposition vor. Das Assad-Regime soll alle Truppenbewegungen in Wohngebiete stoppen, sofort den Einsatz schwerer Waffen in diesen Gebieten einstellen und den Rückzug von Truppen und schweren Waffen in die Kasernen einleiten. Falls Assad diesen Forderungen nicht nachkommt, sollen UN-Sanktionen gegen Damaskus greifen. Zudem soll der Sicherheitsrat das auslaufende Mandat der UN-Beobachtermission in Syrien um 45 Tage verlängern.

Welche Rolle spielt Annan noch?

Der Sondergesandte nährte jüngst Hoffnungen auf ein Einlenken Assads. Der Staatschef wolle möglicherweise einen Emissär benennen, um einen Dialog mit der Opposition zu beginnen. Assad haben ihm bei ihrem jüngsten Gespräch einen „Namen“ für diesen Emissär genannt. Allerdings weiß auch Ex-UN-Generalsekretär Annan nur zu gut: Assad hält die Weltgemeinschaft seit Beginn des Volksaufstandes mit leeren Versprechungen hin. Bei der syrischen Opposition hat Annan ohnehin längst verspielt. Ein Dialog unter Federführung des Regimes ist für die Protestbewegung undenkbar. In ihren Netzwerken teilten die Regimegegner am Donnerstag mit, das Motto der für Freitag geplanten Proteste sei „Nieder mit Kofi Annan, dem Diener von Assad und Iran“.

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