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Syrischer Präsident: Der blinde Augenarzt

Elf Jahre ist Bashar al Assad an der Macht – jetzt ist er mit der größten Krise seiner Herrschaft konfrontiert.

Vor zwei Monaten gab er sich noch unerschütterlich: Syrien habe größere Probleme als viele arabische Nachbarn, aber sei deutlich stabiler. Grund dafür sei die enge Bindung seiner Führung „an die Überzeugungen des Volkes“. Wenn es einen Riss gebe zwischen offizieller Politik und den Interessen des Volkes, entstehe jenes Vakuum, das Unruhen erzeuge, dozierte Syriens Präsident Bashar al Assad in einem langen Interview mit dem „Wall Street Journal“. Anders als die Präsidenten von Tunesien und Ägypten habe er vom ersten Tag im Amt an mit Reformen begonnen, verkündete er selbstgewiss.

Inzwischen möchte der gelernte Augenarzt seine vollmundige Prognose wohl lieber ungeschehen machen. Seit vier Wochen stehen auch in Syrien die Zeichen auf Sturm. Die Protestbewegung erfährt immer größeren Zulauf, ihre Forderungen werden immer radikaler. Verlangten die Demonstranten zunächst Reformen, Arbeitsplätze und bessere Gehälter, wollen sie mittlerweile den Sturz des Regimes. „Freiheit, Freiheit“ heißen die Losungen in allen Teilen des Landes und „Assad, geh nach Hause“.

Das zunehmend bedrängte Regime reagiert mit einer Mischung aus viel Härte und wenigen politischen Konzessionen. Wie zuvor Muammar al Gaddafi, ließ der 45-jährige syrische Staatschef sofort auf die friedlichen Demonstranten schießen. Mehr als 220 Bürger verloren seither ihr Leben. Gleichzeitig versprach er in zwei Fernsehreden das Ende des seit 1963 geltenden Ausnahmezustands, den er am Donnerstag dann tatsächlich per Dekret aufhob. In einem zweiten Dekret schaffte er den berüchtigten Sondergerichtshof ab, der tausende politische Gefangene zu langen Haftstrafen verurteilt hat. Ein drittes Dekret lässt ab sofort friedliche Demonstrationen zu, wie dies „die syrische Verfassung garantiert“. Ungeachtet dessen schwärmten Assads Geheimagenten wieder aus und verhafteten erneut Regimekritiker. Weitere politische Reformen wie Pressefreiheit oder das Ende des Ein-Parteien-Systems versprach der Präsident zu prüfen, ohne sich festzulegen.

Die Menschen auf den Straßen und Plätzen aber bleiben skeptisch. Sie trauen dem angeblichen Gesinnungswandel von Assad nicht, halten seine Ankündigungen für taktische Manöver, um Zeit zu gewinnen. „Elf Jahre haben wir auf Reformen gewartet und nichts ist geschehen“, sagte eine Demonstrantin, die Anfang der Woche an dem Protestcamp in Homs teilnahm, das die Polizei in der folgenden Nacht mit einem Kugelhagel beendete. Erneut starben acht Menschen. Homs ist seitdem hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt, auf den Straßen patrouillieren zivile Regierungsschläger mit gezückten Kalaschnikows, um die Menschen einzuschüchtern.

Elf Jahre ist Bashar al Assad nun an der Macht und sieht sich dieser Tage der größten Krise seiner Herrschaft gegenüber. Am 10. Juli 2000 wurde der damals 34-Jährige mit 97,29 Prozent der Stimmen zum neuen Staatschef Syriens gekürt und eine Woche später vereidigt – die erste Vater-Sohn-Machtfolge in einer arabischen Republik. Vieles kam seither in Wirtschaft und Gesellschaft in Bewegung, nur eines änderte sich nicht: Syrien blieb auch weiterhin der härteste Polizeistaat der Region, so wie ihn Vater Hafiz Assad zuvor in dreißig Jahren Diktatur geschaffen hatte. Dieser hatte 1982 einen Aufstand der Muslimbruderschaft in Hama sogar mit Soldaten und Kampfflugzeugen niederschlagen lassen. 20 000 Menschen verloren ihr Leben – ein Massaker, das bis heute nicht vergessen ist.

Sohn Bashar besuchte damals ein französisch-arabisches Gymnasium in Damaskus. Nach dem Abitur studierte er Augenheilkunde und ging 1992 an das Saint Mary's Hospital in London, wo er seine Frau Asma kennenlernte, Tochter eines bekannten Herzchirurgen. Das Paar hat drei Kinder. Politische Ambitionen ließ der schlaksige Doktor in diesen Jahren nicht erkennen, eher machte er sich einen Namen als Computerfreak. Zurück in Damaskus und in den Fußstapfen seines Vaters lernte er schnell.

Er sei ein Segler, „der die politischen Winde zu nutzen versteht, die durch die Region fegen“, räsonierte Assad über Assad beim zehnjährigen Amtsjubiläum. Turbulenzen jedenfalls gab es reichlich: Der 11. September 2001, der Sturz von Saddam Hussein nach der amerikanischen Invasion 2003. Bald sah sich Syrien zusammen mit Iran und Nordkorea zum Schurkenstaat gestempelt und nach dem Bombenattentat 2005 auf Rafik Hariri, dem Ex-Premier des Libanon, international isoliert. Trotzdem begann Syrien indirekte Friedensgespräche mit Israel unter türkischer Vermittlung, die seit dem Gazakrieg 2008 auf Eis liegen. Seit drei Jahren nun ist Damaskus wieder auf der internationalen Bühne hoffähig. Staatsgäste aus den USA und Europa suchen den Kontakt, auch wenn das Regime an seiner direkten Unterstützung für Hisbollah und Hamas und seiner Achse mit dem Iran festhält.

Ausländische Investoren haben die Mittelmeernation als lukrativen Markt entdeckt. Viel von dem alten neosowjetischen Muff ist verflogen. Schicke Restaurants, modische Boutiquen und noble Hotels schmücken die syrische Hauptstadt. Lange Zeit ein Freilichtmuseum für abgewetzte Oldtimer aus den siebziger Jahren, verstopfen jetzt nagelneue Limousinen aus Deutschland und Japan die Straßen im Zentrum. Assad ließ ausländische Banken und Importe herein, erlaubte private Universitäten und förderte privaten Wohnungsbau, ohne sein Land jedoch politisch zu öffnen. Der Geheimdienst blieb allgegenwärtig. Die kurze liberale Phase des „Damaszener Frühlings“ kurz nach dem Thronwechsel endete bald mit der Verhaftung vieler Protagonisten. Sie hatten damals bereits ein Ende des Ausnahmezustands, eine Abschaffung der Sondergerichte und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert.

Ermutigt von den Aufständen in Tunesien und Ägypten wollen sich die Bürger Syriens nicht mehr länger mit der fugendichten Unterdrückung abfinden. „Der Ausnahmezustand wurde niedergerissen, nicht aufgehoben“, twitterte die prominente syrische Menschenrechtlerin Suhair Atassi, die bereits mehrfach im Gefängnis saß. „Dieser Sieg ist Ergebnis von Demonstrationen, Protesten und dem Blut von Märtyrern, die Syriens Freiheit eingefordert haben.“ Und nach dem Gebet gingen am Freitag im ganzen Land wieder Zehntausende auf der Straße, um eine Ende des Regimes von Bashar al Assad zu fordern – mehr Menschen als je zuvor.

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