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Tradition. Väterchen Frost verkleidet sich mit blauem Mantel, wie dieser Mann im estnischen Narva.

© REUTERS

Tadschikistan: Erstochen wegen eines Kostüms

Islamisten ermorden einen Mann, der sich als Väterchen Frost verkleidet hatte – weil das als christliches Symbol gilt.

Einen Tag und eine Nacht kämpften die Ärzte in Duschanbe, der Hauptstadt der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Tadschikistan, um das Leben von Parviz Davlatbekow. Aber es war vergeblich. In der Nacht zu Montag starb der 24-Jährige an Blutungen innerer Organe, Ergebnis Dutzender Messerstiche. Er habe keine Überlebenschance gehabt, hieß es. Der Grund für den Überfall: Davlatbekow wollte seine Familie überraschen und hatte sich dazu ein Kostüm von Väterchen Frost angezogen, dem russischen Weihnachtsmann, der in der Neujahrsnacht die Geschenke bringt. Er kam nur bis zur Eingangstür des Hauses. Dort lauerten ihm rund 30 islamische Extremisten auf, beschimpften ihn als ungläubigen Hund und zückten die Messer.

Was die liberale Öffentlichkeit besonders schockiert: Die Täter stammen nicht aus den Unterschichten, sondern aus guten Familien. Die beiden Anführer, in etwa im gleichen Alter wie das Opfer, studieren an der Nationalen Universität.

Zwar ist das von den Russen übernommene europäische Neujahrsfest auch zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion in Tadschikistan Staatsfeiertag: Vor öffentlichen Gebäuden werden wie zum Jahreswechsel festlich geschmückte Tannen aufgestellt, Väterchen Frost und Schneewittchen machen die Runde durch Schulen und Kindergärten. Doch die Medien erregen sich seit Jahren mit schöner Regelmäßigkeit über das „Nachäffen christlichen Brauchtums“ im muslimischen Tadschikistan. Im letzten Jahr mit Unterstützung eines mächtigen Verbündeten: Kein Geringerer als Saidmukarram Abdukodyrzoda, der Vorsitzende des Rates der Ulema – ihm gehören die prominentesten islamischen Theologen des Landes an – befand, der Weihnachtsbaum und die damit verbundenen Riten würden „im Widerspruch zu den Gesetzen des Islam“ stehen und „der Kultur der Tadschiken wesensfremd“ sein.

Kritische Experten warnen schon seit geraumer Zeit vor wachsendem Einfluss religiöser Eiferer und sehen sich durch den Mord darin nur bestätigt.

Die Massen in ganz Zentralasien suchen angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Misere ihr Heil mehr und mehr im Islam. Zumal die autoritären Regime die weltliche Opposition schon vor Jahren mundtot machten. Doch nirgendwo sonst in der Region vollzieht sich die Rückbesinnung auf nationale Identität und Islam derartig schnell wie in Tadschikistan. Dessen Bevölkerung – eng mit den Iranern verwandt, aber anders als diese sunnitische Muslime – ist im Gegensatz zu den meist erst im Mittelalter eingewanderten turkstämmigen Nomaden sesshaft, fühlt sich den Nachbarn daher kulturell überlegen und als tragende Säule des Islam.

Auch die Führer regionaler militanter islamischer Extremisten sind in der Regel ethnische Tadschiken. Die meisten davon operieren transnational und kooperieren mit Partnern in Afghanistan, wo rund 15 Millionen Tadschiken leben. Mehr als doppelt so viele wie in der Republik Tadschikistan.

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