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Ukrainische Militärfahrzeuge fahren auf einer Landstraße in dem befreiten Gebiet in der Region Charkiw.

© Foto: Kostiantyn Liberov/dpa

Tag 201 der Ukraine-Invasion: Zwei Gründe, warum Kiews Offensive so erfolgreich war

Wichtige russische Panzereinheit zerrieben, Kreml will keine Generalmobilmachung, russische Truppen verlassen offenbar Stadt in Luhansk. Der Überblick am Abend.

Die ukrainische Offensive im Osten des Landes hält auch nach einer Woche weiter an. Warum sie so erfolgreich war und ist, hat mehrere Gründe. Zwei davon hat ein Sprecher einer ukrainischen Spezialeinheit dem britischen „Guardian“ verraten.

Punkt eins, der aber weitgehend bekannt war: Die Ukrainer wollten den Eindruck einer großen Offensive im Süden des Landes vermitteln, um Moskau abzulenken. Die Offensive sollte wie eine wirkliche Bedrohung für Russland erscheinen. Dazu trug auch die ukrainische Nachrichtensperre aus der Gegend bei, westliche Reporter durften nicht mehr an die Front. 

Über konkrete Geländegewinne und Eroberungen drang deshalb kaum etwas an die Öffentlichkeit. Zwar machten die Ukrainer auch Fortschritte in der Gegend, aber sie waren nicht größer als in den Wochen und Monaten davor. International wurde dennoch prominent über die „Groß“-Offensive im Süden berichtet.

Laut dem Guardian führte das dazu, dass Russland seine Aufmerksamkeit und Truppenpräsenz in der Gegend zusätzlich verstärkte, was die Flanke im Osten schwächte. Die Ukraine hatte derweil eine Masse vor allem westlichen Geräts an der Front in Charkiw versammelt, mit dem die Offensive dann durchgeführt wurde. Das passt zu den Bildern wiederum aus Cherson, wo die Ukrainer vor allem mit leichtem Gerät und Infanterie vorrückten. Die „schweren Jungs“ (O-Ton des Militärexperten Gustav Gressel) waren im Osten versammelt.

Der aber wohl wichtigste Faktor war, dass die Ukrainer in den Wochen und Monaten vor der Offensive russische Informanten in den besetzten Gebieten in Charkiw enttarnt hatten und diese keine Erkenntnisse mehr über ukrainische Truppenbewegungen lieferten. Der US-Experte Michael Kofman sprach in diesem Zusammenhang am Wochenende von einem massiven Versagen der russischen Aufklärung.

Wie weit diese Maßnahmen die ukrainischen Truppen in den kommenden Tagen noch tragen werden, ist nicht abzusehen; dass die Offensive erstaunlich effektiv ist, ist aber jetzt schon klar.

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • Russlands Einnahmen aus Öl- und Gasexporten brechen ein: Für den August verzeichnet Russland ein Haushaltsdefizit von 5,8 Milliarden Euro – ist das nur ein Ausrutscher oder ein Trend? Mehr hier
  • Bau von LNG-Terminals: Der Bundeskanzler kündigt an, dass Deutschland Ende nächsten Jahres nicht mehr von Russland abhängig sein wird. Gas könne man dann etwa aus den USA beziehen. Mehr hier
  • Einem Bericht des britischen Geheimdiensts zufolge wurde bei dem ukrainischen Angriff auf Charkiw eine wichtige Einheit der russischen Panzerarmee deutlich dezimiert. Die „Guards Tank Army“ (GTA-1) gilt als eine der prestigeträchtigsten der russischen Truppen und soll im Notfall als Verteidigung für die Stadt Moskau dienen. Außerdem soll sie im Falle eines Kriegs mit der Nato Gegenoffensiven leiten. Mehr in unserem Newsblog.
  • Der Kreml erwägt nach eigenen Angaben derzeit keine Generalmobilmachung angesichts der Entwicklungen in der Ukraine. Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow sagt im Gespräch mit Journalisten, entsprechende Forderungen und Kritik am Vorgehen der Regierung seien ein Beispiel der „Pluralität“ in Russland. Die Bevölkerung an sich stehe aber weiterhin hinter Präsident Wladimir Putin.
  • Einem Bericht im sozialen Netzwerk Telegram zufolge haben die russischen Truppen nun auch die Stadt Kreminna in der Region Luhansk verlassen. Das teilte der Gouverneur der Region, Serhij Hajdaj, mit. Kreminna gilt als strategisch bedeutsam, da die Stadt an einer Straße in Richtung der Großstädte Lyssytschansk und Sjewjerodonezk liegt. Nach Angaben von Hajdaj weht über dem Verwaltungsgebäude der Stadt mittlerweile eine ukrainische Flagge.
  • Die ukrainischen Streitkräfte kommen bei ihrer Offensive in der Region Charkiw im Nordosten des Lands nach Angaben der Regierung weiter gut voran. Dies liege daran, dass die Truppe höchst motiviert und die Operation gut geplant sei, sagt die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar der Nachrichtenagentur Reuters. Es sei allerdings noch zu früh zu sagen, dass die Ukraine die volle Kontrolle über die Region übernommen habe. „Die Kämpfe dauern an“, sagt Maljar.
  • In der Ukraine ist offenbar erstmals der Einsatz iranischer Drohnen auch bildlich nachgewiesen worden. Auf Fotos ist eine zerstörte Drohne des Typs Shahed-136 zu sehen, die vermutlich explodiert ist. Wann und wo das Bild aufgenommen wurde, ist unbekannt. Bereits seit Monaten geht nicht zuletzt die US-Regierung davon aus, dass Russland Drohnen im Iran einkauft, dabei fällt auch immer wieder der Name der nun offenbar abgeschossenen Drohne.
  • Nach den jüngsten Erfolgen haben sowohl der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba als auch Präsidentenberater Mychajlo Podoljak das deutsche Zögern bei Panzerlieferungen kritisiert. Aufgrund dessen könne Russland den „Terror“ fortsetzen und Ukrainer müssten sterben, sagte Podoljak.
  • Der SPD-Politiker Michael Roth plädiert dafür, dass sich Deutschland rasch mit Nato und EU über weitere Waffen- und auch Panzerlieferungen an die Ukraine abstimmt. Deutschland habe bereits schwere Waffen geliefert, sagt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im Deutschlandfunk. „Und jetzt reden wir darüber, was man noch tun kann, um in dieser ganz entscheidenden Phase der Ukraine beizustehen.“
  • Die russische Armee hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die ukrainischen Streitkräfte an allen Frontlinien massiv bombardiert. Explizit genannt wurden Angriffe vor allem im Osten, Süden und bei Charkiw im Nordosten des Landes, wo die Ukraine eine Gegenoffensive gestartet hat.
  • Der Krieg gegen die Ukraine wird nach Kreml-Angaben Thema der anstehenden Gespräche zwischen Russlands Präsident Wladimir Putin und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping. Der russische Präsidentenberater Juri Uschakow lobte Chinas Position in dem Konflikt als „ausgewogen“.

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