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T-Shirt auf einer Anti-Ecfa-Demonstration.

© Rosen

Taiwan: Geschäfte mit dem Feind

Taiwan unterzeichnet am Dienstag ein umstrittenes Wirtschaftsabkommen mit China. Die taiwanische Regierung verspricht ein "goldenes Jahrzehnt", doch die Opposition fürchtet die tödliche Umarmung durch das autoritär regierte Festland. Droht Taiwan der Ausverkauf?

Die Ostpolitik Willy Brandts, könnte die nicht ein Modell sein für Taiwan? Hat der „Wandel durch Annäherung“ nicht schon mal einen feindlichen kommunistischen Nachbarn zu Fall gebracht? Chen-yuan Tung lächelt. „Na ja, es gibt da ein paar Unterschiede“, sagt er, und meint wohl: Eigentlich lässt sich die Situation nicht vergleichen. Die DDR und Westdeutschland, das waren 17 gegen 60 Millionen Menschen, eine kollabierende Volkswirtschaft gegen das ökonomisch stärkste Land Europas. China und Taiwan aber – das sind 1,3 Milliarden gegen 23 Millionen, eine angehende Supermacht mit den Ausmaßen eines Kontinents gegen eine Insel von der Größe Baden-Württembergs.

„Wir befinden uns in einer asymmetrischen Situation“, sagt Politikwissenschaftler Tung. Er sitzt in seinem winzigen Arbeitszimmer im 7. Stock eines Büroturms, Raum Nummer 270706, und erzählt von seinen Verhandlungen mit den Chinesen aus der Volksrepublik. Durch die Fenster kann man den blauen Himmel sehen, Palmen und üppig grüne Berge – der Campus von Tungs Uni befindet sich am südlichen Rande Taipehs. Unter der letzten taiwanischen Regierung war Tung Vize-Chef des „Rats für Festlandangelegenheiten“, jener Behörde, die den Kontakt nach Peking hält. Er behauptet, das Einzige, was die Vertreter des kommunistischen Chinas verstünden, sei die Sprache der Macht. „Wenn du ihnen aus einer Position der Stärke gegenübertrittst, machen sie Zugeständnisse. Umgekehrt werden sie jede Schwäche gegen dich nutzen.“ Tung lehnt sich in seinem Bürosessel zurück und schiebt die Brille auf seiner Nase gerade: „Taiwans jetzige Regierung setzt auf das Wohlwollen Chinas“, sagt er. „Das ist ziemlich naiv.“

Zwei Jahre ist es her, dass die Kuomintang (KMT), die chinesische Nationalpartei, die Wahlen in Taiwan gewann. Der neue Präsident Ma, ein smarter Harvard-Absolvent, rief damals eine Politik der Entspannung und Annäherung an China aus. Er verspricht ein „goldenes Jahrzehnt“, seine Kritiker aber fürchten den Ausverkauf der Insel. Denn wenn sich das autoritär regierte China und das demokratische Taiwan nähern - wer ändert dann wen?

Die Auseinandersetzung entzündet sich vor allem an einem Thema: Ecfa. Die Abkürzung steht für „Economic Cooperation Framework Agreement“, ein Wirtschaftsabkommen, das Taiwan und die Volksrepublik nach langen, wenig transparenten Verhandlungen am Dienstag im chinesischen Chongqing unterzeichnen werden. Es soll beiden Seiten bessere Geschäfte ermöglichen, durch niedrige oder ganz wegfallende Zölle und das Ende von Investitionsbeschränkungen. Das mag unspektakulär klingen, ist aber ein Meilenstein im Verhältnis der beiden Seiten. Kein Wunder, dass Ecfa Taiwan seit Monaten in Aufregung versetzt - und die Gesellschaft spaltet. Die Hälfte der Bevölkerung ist mehr oder weniger dafür, rund ein Viertel strikt dagegen. Jeden Tag sind die Zeitungen voll mit neuen Meldungen über das Abkommen.

Es sind eben keine normalen Verhandlungen, wenn Taipeh und Peking aufeinandertreffen. Nachdem sie den Bürgerkrieg auf dem Festland 1949 gegen die Kommunisten verloren hatten, zogen sich Millionen KMT-Anhänger nach Taiwan zurück. Auf der Insel, die lange ein wenig beachteter Teil des chinesischen Kaiserreichs und später japanische Kolonie war, errichteten sie mit Gewalt ihre „Republik China“ - in der Hoffnung, eines Tages auch wieder über Peking, Nanjing und Shanghai zu herrschen. Beschützt von den USA machte Taiwan in den folgenden Jahrzehnten eine rasante Entwicklung durch: Es erlebte einen sagenhaften Boom, wurde vom Niedriglohn- zum Hightechland, von der Diktatur zur Demokratie. Nur eines blieb: Die Feindseligkeit der Volksrepublik, die Taiwan als Teil ihres Staatsgebiets betrachtet. 1500 chinesische Raketen zielen auf die Insel; für den Fall, dass sich Taiwan unabhängig erklärt, droht Peking mit Krieg.

Gleichzeitig sind die taiwanische und die chinesische Wirtschaft immer enger miteinander verflochten. Rund 40 Prozent von Taiwans Exporten gehen auf die andere Seite der Taiwanstraße – und sogar 70 Prozent der Direktinvestitionen. Das nahe China ist Taiwans wichtigster Handelspartner: als lukrativer Absatzmarkt, als billige Werkbank. Und umgekehrt?

„Ich sage Ihnen, was China vorhat: Die wollen uns ökonomisch Schritt für Schritt abhängig machen, bis es kein Zurück mehr gibt – und dann verlieren wir unsere politische Freiheit, unsere Menschenrechte, unsere taiwanische Identität“, sagt Aktivist Ying-yuan Lee und geht, vorbei an der großen Videoleinwand, auf die Bühne. Dort greift sich der 57-Jährige ein Megafon und ruft: „Unser Schicksal liegt in unseren Händen!“ Und: „Wir fordern eine Volksabstimmung über Ecfa!“ Das Publikum, das auf niedrigen Plastikhockern sitzt, antwortet mit schallendem Applaus. Es ist ein heißer Samstagmittag im Mai und ein paar hundert Vertreter der Opposition blockieren die Straße vor dem Parlament in Taipehs Zentrum. Auf dem Boden haben sie ein Plakat ausgerollt: „Ecfa, no! China, no!“ steht da. Und an Ständen werden grüne T-Shirts verkauft, auf denen neben dem Wort Ecfa ein Totenkopf prangt.

Kämpft gegen das Abkommen mit China: Ying-yuan Lee von der taiwanischen Opposition.
Kämpft gegen das Abkommen mit China: Ying-yuan Lee von der taiwanischen Opposition.

© Rosen

Lee ist der Anführer dieses dreitägigen Sit-ins: Ein braungebrannter, vitaler, betont unkomplizierter Mann, der zu Zeiten, als Taiwan noch weniger demokratisch war, neun Monate im Gefängnis saß – weil er sich zu sehr für die Unabhängigkeit der Insel stark gemacht hatte. Heute ist Lee Politiker der größten Oppositionspartei DPP, die von 2000 bis 2008 regierte. Die DPP will die unbedingte Eigenständigkeit der Insel, und sie vermutet, dass Ecfa für die KMT nur der erste Schritt ist auf dem Weg zu einem langfristigen Ziel: der Vereinigung mit dem Festland. Lee trägt an diesem Tag nicht nur ein Handtuch um den Hals, mit dem er sich ab und zu den Schweiß vom Gesicht wischt. Wie alle Demonstranten hat er auch einen Strohhut auf dem Kopf - die traditionelle Kopfbedeckung der einheimischen Landbevölkerung, die sich eigentlich nie in der Geschichte wirklich als Teil Chinas fühlte. „Ecfa muss gestoppt werden“, sagt er bei einem Gespräch hinter der Bühne. „Dabei sind wir nicht gegen erleichterten Handel mit China. Aber wir wollen denen auf Augenhöhe begegnen. Taiwan sollte zur selben Zeit Freihandelsabkommen mit anderen Ländern schließen, mit Europa oder Japan.“

Aber genau das weiß Peking zu verhindern. Würde etwa die USA ein Freihandelsabkommen mit Taiwan schließen, hätte sie damit die Souveränität der Insel anerkannt – und wäre auf dem größtmöglichen Konfrontationskurs mit China. Kein Staat will das riskieren.

Nur ein paar Straßen entfernt vom Sit-in befindet sich der „Rat für Festlandangelegenheiten“. Hier nimmt Shie-chie Hua, ein hoher Vertreter der Behörde, Platz zwischen einer taiwanischen Fahne und einem Porträt des chinesischen Revolutionsführers und KMT-Gründers Sun Yat-sen. Hua macht den Eindruck, von seiner Sache überzeugt zu sein. Er sieht keine Alternative zu Ecfa. Jedenfalls nicht, wenn Taiwans Wirtschaft weiter florieren soll. Eine Meinung, die viele Ökonomen teilen. „China ist nicht zu stoppen“, sagt der Mann mit dem runden Gesicht und dem schütteren Haar. „Im vergangenen Jahr haben sie ein Freihandelsabkommen mit den Asean-Staaten abgeschlossen – die Südostasiaten können jetzt viele Produkte zollfrei nach China exportieren. Unsere Industrie kann das nicht.“ Ecfa soll diesen Wettbewerbsnachteil schleunigst ausgleichen. Außerdem hoffe man darauf, dass China Taiwan Freihandelsabkommen mit anderen Staaten nicht mehr abschlagen könne, sobald es selbst einen solchen Vertrag unterzeichnet hat.

Es dürfte nicht die einzige Hoffnung der KMT-Regierung sein. Der Präsident hat versprochen, zu tun, was die meisten Taiwaner wollen: den Status Quo zu erhalten. Es werde unter ihm weder zur Unabhängigkeit noch zur Vereinigung kommen. Aber die Annäherung an China ist eine Art Wette auf die Zukunft. Man muss nur Shie-chie Hua vom „Rat für Festlandangelegenheiten“ zuhören. „China befindet sich in einer früheren Etappe der Industrialisierung. Obwohl sich die Wirtschaft stark entwickelt, ist ihr politisches System, nun ja, traditionell“, sagt er. „Wir müssen sie ermutigen, es zu modernisieren.“

Da ist sie, die Idee vom „Wandel durch Annäherung“, und sie weist in Richtung Vereinigung. Schon vor zwei Jahren hat die KMT-Regierung ein Tourismus-Abkommen mit China geschlossen. Seitdem kommen täglich fast 3000 Festlandchinesen auf die Insel. Taiwaner sagen, man könne sie leicht erkennen: Sie sind ziemlich laut, weniger gut gekleidet als die Einheimischen und sie ziehen in Gruppen von 20, 30 Mann durch die Stadt, immer einem Führer mit Fähnchen hinterher. Individualtourismus ist ihnen noch nicht erlaubt.

Selbst Politikwissenschaftler Chen-yuan Tung, der dem Kurs der Regierung sonst kritisch gegenübersteht, die Annäherung an China übereilt und unnötig findet, freut sich über die Besucher. Er hat mit Festlandchinesen, die nach Taiwan gekommen sind, gesprochen, und viele haben ihm erzählt, dass sie den halben Tag auf dem Hotelzimmer verbringen, um fernzusehen. „Sie sind beeindruckt, zum Beispiel von der Meinungsvielfalt in den Talkshows“, erzählt Tung. Von einem Land, dass chinesisch ist – und demokratisch. „Vielleicht verändern diese Leute China ja in der Zukunft.“ Ob sie dann auch größeres Verständnis für eine mögliche Unabhängigkeit Taiwans hätten, darf bezweifelt werden.

Eine Dreiviertelstunde Autofahrt von Taipeh entfernt, verlieren solche politischen Fragen an Bedeutung. Der Weg ins 23.000-Einwohner-Städtchen Sanzhi führt in die bewaldeten Berge. Kuang-yi Huang, Chef eines Unternehmerverbandes, stoppt sein Auto an einer kleinen Fabrik, vor der Bananenstauden wachsen. Hier reden sie so ähnlich über China wie deutsche Gewerkschaftsfunktionäre: Die vom Festland würden nur kopieren, Lohn-Dumping betreiben und schlechte Qualität produzieren - ungeachtet der Tatsache, dass Taiwan einst auf ähnliche Art zu Wohlstand kam.

In Hausschuhen führt der große, stämmige Huang, 41 Jahre alt, durch die Hallen: In einer lagern Baumwoll-Ballen, in der nächsten wird der Stoff zu Bettlaken oder Kopfkissenbezügen zurechtgeschnitten. Jetzt in der Nebensaison arbeiten hier nur 30 Leute, der Verkaufsschlager ist pinke Bettwäsche mit Blumenmuster. „Diese Fabrik ist eine der vielen, die dichtmachen können, sobald Ecfa unterzeichnet ist“, sagt Huang unter dem Lärm von Nähmaschinen und Ventilatoren. Der chinesischen Billig-Konkurrenz sei man nicht gewachsen, wenn die Zölle wegfielen. „Das Abkommen nutzt nur den großen Firmen, der Computer- oder der Chipindustrie“, glaubt Huang. „Kleinere Unternehmen, die nicht exportieren, werden die Verlierer sein. Das betrifft die Landwirtschaft, die Textil- oder die Keramikindustrie.“

Die Regierung will den bedrohten Firmen zwar mit einem millionenschweren Programm helfen. Aber Huang glaubt, Ecfa müsse unbedingt gestoppt werden. Er hat sich der DPP zugewandt, weil die Opposition Leute wie ihn unterstützt. Die politische Situation in Festlandchina erwähnt er während des dreistündigen Ausflugs nach Sanzhi kein einziges Mal.

Nur rund 20 Prozent der Taiwaner sind kategorisch für die Unabhängigkeit, der Rest will abwarten. Kuang-yi Huang kann sich eine Vereinigung mit China gut vorstellen. Irgendwann jedenfalls, vielleicht in 50 oder 60 Jahren. Gut gelaunt trommelt er während der Rückfahrt nach Taipeh auf sein Lenkrad, lacht und sagt: „Wenn wir dann alle reich werden, warum nicht?“

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