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Terror in Paris: Den Westen gibt es sehr wohl

Im Angesicht des Terrors zeigt sich, wer zusammen gehört. Deutschland und Frankreich - und der oft in Frage gestellte Westen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

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Der Tag des Terrors war auch ein Tag der Solidarität: einer Solidarität der Herzen, die rasch in eine Solidarität des Handelns überging. In solchen Momenten zeigt sich, wer sich mit wem zusammengehörig fühlt. Deutsch-französisch und transatlantisch – das waren die ersten instinktiven Reaktionen in den Stunden der Bedrohung in Paris. Es waren die instinktiven Reflexe der französischen Regierung und ebenso die instinktiven Reflexe ihrer engsten Bündnispartner: Deutschland, Europa, USA. Aus Berlin und aus Washington kamen sehr rasch die Angebote, mit Experten auszuhelfen, auch mit Spezialkräften gegen Terror.

Die Terroristen attackierten am Tag des deutsch-französischen Freundschaftsspiels und sie taten es in der nächsten Umgebung des Stadions. Diese Symbolik ist mächtig. Französische und deutsche Fans durchlitten das Erschrecken über die im Stadion hörbaren Explosionen und das bald einsetzende Sirenengeheul der Polizei- und Rettungswagen gemeinsam. Die meisten Toten gab es beim Konzert einer Band aus den USA.

International gibt es niemanden, der ihnen näher steht

Französische und deutsche Regierungsmitglieder waren geeint im Bann des Fußballs, als die Terroristen zuschlugen – und geeint in ihrer Antwort auf den Angriff. Wie selbstverständlich telefonierte kurz darauf Barack Obama mit Francois Hollande, um sein Mitgefühl und das aller Amerikaner auszudrücken und um sich abzustimmen.

In solchen Augenblicken zeigt sich, dass es "den Westen" sehr wohl gibt, auch wenn es in Mode gekommen ist, das zu bezweifeln und die Unterschiede im Fühlen, Denken und Handeln zwischen Franzosen und Deutschen, Franzosen und Amerikanern, Deutschen und Amerikanern hervorzuheben. In der Stunde der Not suchen sie ganz selbstverständlich den Zuspruch und die Rückversicherung untereinander. International gibt es niemanden, der ihnen näher steht, auf den sie sich verlassen können.

Angela Merkel gab am Samstagmorgen in Berlin sichtlich bewegt ein Statement ab.
Angela Merkel gab am Samstagmorgen in Berlin sichtlich bewegt ein Statement ab.

© AFP

Das institutionelle Netzwerk ist eng

Das mag auf den ersten Blick erstaunlich erscheinen und ist in Wahrheit sehr beruhigend. Frankreich und Deutschland haben gewiss keine einheitliche Syrienpolitik und setzen auch andere Akzente im Umgang mit der Massenmigration der jüngsten Monate. Als Angela Merkel Willkommenskultur und "Wir schaffen das" zur Devise machte, gab Francois Hollande die Bekämpfung der Fluchtursachen als Priorität aus – und er meinte damit an erster Stelle Luftangriffe gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" IS in Syrien.

Auch die transatlantischen Beziehungen sind keineswegs in einem harmonischen Zustand, schon gar nicht in den Augen der Öffentlichkeit. Die Verärgerung über die gegenseitigen Abhöraffären hat der engen Zusammenarbeit im Alltag aber keinen Abbruch getan. Angela Merkel telefoniert regelmäßig mit Francois Hollande und Barack Obama. Das institutionelle Netzwerk ist eng, das gemeinsame Handeln längst organisatorisch verinnerlicht – von gemeinsamen Regierungssitzungen über gesellschaftliche Institutionen wie das deutsch-französisches Jugendwerk und den selbstverständlichen individuellen Austausch bis zur gemeinsamen Sicherheitsarchitektur in Nato und Geheimdienstkooperation. Die deutsch-französische Brigade ist nicht mehr symbolisches Beiwerk, sie ist längst im Einsatz.

Deutsche und Amerikaner fühlen sich enger verbunden mit den Franzosen

Der Angriff auf die "Charlie Hebdo"-Redaktion wurde zu Recht als Angriff auf das gemeinsame Wertesystem, auf die Meinungs- und Pressefreiheit, verstanden. Auch die neuen Attacken von Paris werden instinktiv als ein weiterer Angriff auf uns alle in Europa und den USA, auf unsere Lebensweise empfunden. Doch anders, als die Terroristen hoffen, zeigen die Reaktionen nicht, wie brüchig der westliche Zusammenhalt sei. Sie stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Ob Deutsche, ob Amerikaner – sie fühlen sich in diesen Stunden enger verbunden mit den Franzosen.

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