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EU-Ratschef Donald Tusk und die britische Regierungschefin Theresa May am Freitag in Brüssel.

© AFP

Update

Theresa May in Brüssel: Brexit bedeutet Poker

Die britische Regierung bietet bei den Verhandlungen um den Ausstieg aus der EU mehr Geld - und stellt Bedingungen.

Auch wenn die britische Regierungschefin Theresa May in ihrer Heimat gewaltig unter Druck steht, so ließ sie sich dies am Freitag bei ihrem Besuch in Brüssel nicht anmerken. Routiniert spulte May zum Auftakt des EU-Gipfels zur Partnerschaft mit östlichen Staaten wie der Ukraine und Georgien ihren Standard-Satz herunter, den sie immer dann sagt, wenn es um das sicherheitspolitische Engagement Großbritanniens zum Wohl des Kontinents geht: „Wir mögen die Europäische Union verlassen, aber wir verlassen nicht Europa.“ Ach ja, da war ja noch ein Thema: der Brexit. Dazu ließ sich May immerhin die Feststellung entlocken, dass bei den schwierigen Verhandlungen sowohl Großbritannien als auch die verbleibenden 27 EU-Staaten „gemeinsam den nächsten Schritt gehen“ müssten. Die Botschaft: May war nicht als Bittstellerin nach Brüssel gekommen.

Barniers Frist verstrich

Vor zwei Wochen hatte der EU-Chefverhandler Michel Barnier den Briten eine Frist gesetzt. Innerhalb von 14 Tagen müsse London die Frage beantworten, welchen Betrag Großbritannien beim Exit aus der EU zahlen will. Diese Frist lief nun am Freitag aus – ohne eine Einigung der beiden Seiten über die Höhe der britischen EU-Austrittsrechnung. Barniers Fristsetzung hatte allerdings insofern eine Wirkung gezeigt, als in der vergangenen Woche in britischen Medienberichten von einem Entgegenkommen der Londoner Regierung die Rede war. London wolle 40 Milliarden Euro zur Begleichung der EU-Austrittsrechnung auf den Tisch legen, hieß es in den Berichten. Zuvor war lediglich von einer Summe von 20 Milliarden Euro die Rede gewesen. In Brüssel wird indes geschätzt, dass London beim Austritt im März 2019 insgesamt rund 60 Milliarden Euro begleichen muss, wenn man Beiträge für den laufenden EU-Etat, längerfristige Verpflichtungen aus dem europäischen Haushalt und Pensionszahlungen für EU-Beamte einberechnet.

Bereits vor Mays Auftritt in Brüssel hatten EU-Diplomaten bereits deutlich gemacht, dass die von Barnier gesetzte Frist durchaus noch um einige Tage hinausgeschoben werden könne. Bis zum 4. Dezember, wenn sich May mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker treffen wollen, soll nun eine Lösung im Streit ums Geld gefunden werden. Um eine Einigung zu ermöglichen, kam es am Freitag nach dem EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft zu einer Art Sondierungsgespräch zwischen May und dem EU-Ratschef Donald Tusk.

Harte Haltung in Berlin und Paris

Der Pole Tusk spielt insofern eine Rolle, als er im Auftrag der Staats- und Regierungschefs der EU agiert. Als die Brexit-Gespräche vor fünf Monaten begannen, hatte May noch geglaubt, an der EU-Kommission vorbei einen besseren Brexit-Deal mit den Staats- und Regierungschefs aushandeln zu können. Doch dies erwies sich als Illusion. Vielmehr hatten sich insbesondere Berlin und Paris eine striktere Verhandlungsposition eingenommen als die EU-Kommission. Dass sich die EU nicht von den britischen Brexit-Verhandlern auseinanderdividieren lassen will, machte Tusk in dieser Woche noch einmal klar. Der EU-Ratspräsident twitterte ein Foto, das ihn beim Handschlag mit Barnier zeigte.

Offen blieb zunächst, ob May am Freitag zum Treffen mit Tusk neue Angebote bei den drei Trennungsfragen mitbrachte: der Höhe der EU-Austrittsrechnung, die künftige Grenzregelung zwischen Irland und dem britischen Nordirland sowie die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien. Erst wenn es ausreichenden Fortschritt in diesen drei Punkten gibt, kann beim EU-Gipfel im Dezember die nächste Gesprächsphase bei den Brexit-Gesprächen eingeläutet werden. Dabei soll über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen London und den EU-27 verhandelt werden.

Nach dem Treffen mit May machte Tusk deutlich, dass bis zur nächsten Begegnung zwischen der britischen Regierungschefin und dem Kommissionspräsidenten Juncker am 4. Dezember noch weitere Verhandlungen nötig sind. „Wir müssen Fortschritte vom Vereinigten Königreich innerhalb der kommenden zehn Tage bei allen Themen sehen, inklusive Irland“, twitterte Tusk.

Nach einem Bericht des „Guardian“ hatte das Kabinett in London ein Entgegenkommen bei den Finanzverhandlungen zugesichert. Allerdings sei diese Zusage mit der Klausel versehen worden, dass die EU bei der Aufbesserung des Angebots automatisch den von London geforderten Beginn der Handelsgespräche garantieren müsse.

Irische Grenzfrage bereitet immer mehr Kopfzerbrechen

Möglicherweise wird aber gar nicht der Streit ums Geld zum entscheidenden Knackpunkt, sondern die knifflige Frage der künftigen Grenzregelung auf der irischen Insel. Der irische Regierungschef Leo Varadkar hat von der britischen Regierung eine schriftliche Zusage gefordert, dass in der einstigen Bürgerkriegsregion zwischen Irland und Nordirland keine „harte Grenze“ errichtet wird. Dies will auch London im Prinzip nicht. Allerdings haben Londons Verhandler noch nicht die Frage beantwortet, wie Grenzkontrollen vermieden werden sollen, wenn Großbritannien wie angekündigt aus der EU-Zollunion ausscheidet.

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