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Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU).

© dpa

Thomas de Maizière im Interview: „Gleiche Rechte und Pflichten für alle Ausländer“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière über das Ziel des Integrationsgesetzes und die Mängel im Kampf gegen den Terror in Europa.

Von
  • Frank Jansen
  • Antje Sirleschtov

Herr de Maizière, ist die Europäische Union im Kampf gegen den Terror eine lahme Ente?

Nein, das geht mir zu weit. Aber die EU muss besser werden. Die EU hat allerdings nur begrenzte Kompetenzen im Sicherheitsbereich. Kein Nationalstaat will etwas abgeben. Angesichts der Bedrohung Europas bedarf es aber dringend gemeinsamer Antworten.

Muss Europa mehr Kompetenz erhalten?

Das würde eine Änderung der europäischen Verträge bedeuten, und eine solche Änderung kostet Zeit – Zeit, die wir im Moment nicht investieren können. Zudem besteht das Risiko, dass wir in eine Detaildiskussion geraten, über die dann die Zusammenarbeit und damit auch die Bekämpfung des Terrorismus vernachlässigt würden. Es ist leider so: Solche Strukturdebatten lenken häufig von den wichtigen Fragen ab, deshalb sollten wir jetzt unterhalb der Schwelle einer Vertragsänderung rasch unsere Zusammenarbeit weiter intensivieren.

Sie haben nach den Anschlägen in Brüssel beklagt, viele nationale Behörden wollten Informationen nicht mit anderen teilen…

Das stimmt ja auch. Europol bekommt 90 Prozent seiner Daten über terroristische Gefährder nur von fünf Nationen, darunter von Deutschland. Viele Staaten möchten Informationen bekommen, aber keine geben. Offenbar auch, weil manche denken: Wenn die anderen sehen, wie viele Gefährder es bei mir gibt, wirft das ein schlechtes Licht auf mein Land. Immerhin ist es jetzt so, dass Europol jetzt schon fünfmal so viele Informationen zu ausländischen Kämpfern und ihren Unterstützern erhält wie noch vor einem Jahr.

Wo hakt es sonst noch?

Wir haben unterschiedliche Datentöpfe, die nicht miteinander verbunden sind. Das betrifft Daten für Reisen, Migration und Sicherheit. Wir haben Eurodac, eine Datei zur Speicherung der Fingerabdrücke von Flüchtlingen, es gibt das Schengener Informationssystem zur Fahndung nach Personen und das Visa-Informationssystem. Aber alle Systeme können nur gesondert nacheinander abgefragt und die Ergebnisse dann erst mühsam einzeln verglichen werden, um etwa falsche Identitäten zu erkennen. Es gibt hier keine Möglichkeit zum Datenabgleich für sicherheitsbehördliche Zwecke. Daraus resultieren gefährliche Wissenslücken. Wir brauchen ein integriertes Management für diese Daten. Es muss eine Verbindung der Datentöpfe geben.

Schadet die Kleinstaaterei der Sicherheit?

Ich arbeite schon lange daran, genau das aufzubrechen. Ich habe, kurz vor den Anschlägen in Brüssel, einen entsprechenden Vorschlag an die EU-Kommission geschickt. Da geht es um die Interoperabilität der Datensysteme für Reisen, Migration und Sicherheit. Ich fordere, dass die Kommission schnell ein Konzept vorlegt, damit wir sehen, welche Rechtsakte zu ändern sind und welche technischen Schritte dafür notwendig sind. Bei dann anstehenden Rechtsänderungen wünsche ich mir dann später breite Unterstützung all derjenigen, die jetzt nach besserem Informationsaustausch rufen.

Braucht die EU ein Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum nach dem Modell des deutschen GTAZ?

Das GTAZ ist ein Erfolgsmodell. Polizei und Nachrichtendienste tauschen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Informationen aus. Allerdings sitzen dort insgesamt 40 Behörden. Die haben nach der Gründung des GTAZ 2004 auch ein bis zwei Jahre gebraucht, um gut zusammenzuarbeiten. Ein europäisches Abwehrzentrum müsste ja 28 Staaten mit unzähligen Behörden vereinen. Eine Übertragung des Modells auf Europa wird daher zumindest in Reinform kaum funktionieren. Immerhin sind die europäischen Nachrichtendienste seit den Anschlägen vom November in Paris dabei, ihre Zusammenarbeit deutlich zu verbessern. Und die bilaterale Zusammenarbeit von Deutschland mit Frankreich, Belgien und den Niederlanden funktioniert sowieso hervorragend. Da tauschen wir viele Daten aus. Natürlich wäre eine weitergehende europäische Verknüpfung von Polizei und Nachrichtendiensten im Interesse der Sicherheit, aber das ist auch ohne die Schaffung eines europäischen GTAZ möglich.

Die Terrormiliz IS droht mit Anschlägen auf das Kanzleramt in Berlin und den Flughafen Köln-Bonn. Ist die Gefahr real?

Dass Deutschland schon lange bedroht ist, ist bekannt. Die Lage ist bitterernst. Aber wir sind gut aufgestellt. Wir haben das GTAZ und wir haben in dieser Legislaturperiode schon viele Gesetze verschärft. Aber niemand kann einen Anschlag ausschließen. Und ich weiß nicht, wie die Bevölkerung reagieren wird. Ich hoffe, sie hätte die Kraft und die Ruhe wie die Menschen nach den Terrorangriffen in London, Paris und Brüssel.

Sie haben 2014 den IS in Deutschland verboten. Was hat das gebracht?

Das Verbot ist ein scharfes Schwert, schärfer als die meisten denken, weil es jede Betätigung für den sogenannten IS unter Strafe stellt. Schon das Zeigen von Symbolen des IS ist jetzt strafbar. Das ist neben der großen Zahl von Strafverfahren und verhinderten Ausreisen Ausdruck einer wehrhaften Demokratie.

Warum ist dann Al Qaida nicht verboten?

Der sogenannte „Islamische Staat“ hat in kürzester Zeit eine erhebliche Anhängerschaft auch in Deutschland mobilisiert. Dies ist bis heute bei Al Qaida nicht der Fall.

Herr de Maizière, Sie wollen Flüchtlingen den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland verweigern, die sich der Integration verweigern. Wie groß ist die Zahl der Verweigerer überhaupt?

Die Koalition hat bereits vor einiger Zeit beschlossen, gemeinsam ein Integrationsgesetz auf den Weg zu bringen, das den Maßstäben von Fördern und Fordern entsprechen soll. Arbeitsministerin Andrea Nahles und ich werden dieses Gesetz gemeinsam erarbeiten. Mein Ansatz ist hierbei, dass auch für anerkannte Flüchtlinge wie für alle anderen Ausländer in etwa gleiche Rechte und Pflichten gelten sollen, wenn es um einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geht. Jeder Kanadier, der hier arbeitet, erhält zunächst ein befristetes Aufenthaltsrecht, das nur dann verlängert und in eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis umgewandelt wird, wenn er Deutsch kann, seinen Lebensunterhalt sichert und sich mit unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung auskennt. Das gilt bislang für jeden, nur nicht für Flüchtlinge. Sie erhalten diese unbefristete Erlaubnis nach drei Jahren, ohne dass geprüft wird, ob sie sich integriert haben und für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Diese Privilegierung muss beendet werden. Deshalb will ich im Integrationsgesetz für die Gleichbehandlung sorgen. Wer keinen Sprachkurs besucht und sich nicht um Arbeit bemüht, der soll in Zukunft in Deutschland nicht dauerhaft bleiben können, wenn keine Fluchtgründe mehr bestehen. Mehr ist im Übrigen auch durch EU-Recht nicht vorgegeben.

Werden solche Flüchtlinge ausgewiesen?

Nein, das werden sie nicht, sofern sie noch immer schutzbedürftig sind. Ihre Bleibegenehmigung wird dann aber nur befristet und abhängig von der Situation im Heimatland verlängert.

Motivieren die Erfolge der AfD zu diesem Plan?

Die Entscheidung, Gesetzesvorschläge zu machen, muss allein davon abhängen, was man für vernünftig hält, und in meinen Augen ist es vernünftig, diese Privilegierung von Flüchtlingen gegenüber anderen Ausländern zu beenden. Es ist mein Verständnis von Politik, fortwährend daran zu arbeiten, einen breiten Konsens in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Und dazu gehört es genauso, eine humanitäre Verantwortung für die Schutzbedürftigen zu übernehmen und sie in die Gesellschaft zu integrieren, wenn sie hierbleiben wollen, wie dafür zu sorgen, dass nur die Flüchtlinge dauerhaft hier leben können, die sich hier auch zu den Werten und Normen bekennen. Eine solche Anstrengung zur Integration kann die Mehrheitsgesellschaft von jedem verlangen, der zu uns kommen will.

Die Zahl der Flüchtlinge geht zurück. Haben wir den Höhepunkt der Krise hinter uns?

Ich hoffe ja. Wir haben im März täglich durchschnittlich circa 140 Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze verzeichnet. Die Zahl der neu ins Land Kommenden geht also drastisch zurück. Gleichzeitig steigt aber die Zahl der Asylanträge. Das liegt allerdings daran, dass das Bamf mit seiner drastischen Effektivitätssteigerung nun sehr zügig die Anträge derer bearbeitet, die bereits in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen sind. Dass der Höhepunkt der Flüchtlingskrise hinter uns liegt, sage ich aber mit großer Vorsicht. Es gibt noch einige Fragen, die wir beantworten müssen. Dazu gehört genauso die Umsetzung der mit der Türkei erzielten Verhandlungsergebnisse wie die Suche nach Lösungen für mögliche Ausweichrouten, etwa über Libyen und Italien. Sollten wieder mehr Menschen über diese Route kommen, werden wir ähnliche Lösungen wie mit der Türkei suchen und darüber dann auch Verhandlungen mit den Ländern im Norden Afrikas aufnehmen müssen. Denkbar wären beispielsweise Aufnahmezentren in Nordafrika, für Flüchtlinge, die aus Italien zurückgeführt werden und im Gegenzug eine humanitäre Aufnahme aus dem betreffenden nordafrikanischen Land. Bis dahin sind aber noch dicke Bretter zu bohren.

Thomas de Maizière (62) ist seit 2013 wieder Bundesinnenminister. Der Christdemokrat hatte das Amt schon von 2009 bis 2011 inne. In den Jahren dazwischen war er Verteidigungsminister. Von 2005 bis 2009 leitete er das Kanzleramt. Das Interview führten Antje Sirleschtov und Frank Jansen.

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