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Thüringen: Bodo Ramelow: Gefährliche Langeweile

Thüringens Linken-Fraktionschef Ramelow will nicht Opposition spielen – das verunsichert die Genossen.

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Der Spitzengenosse gibt sich zerknirscht. Ein „gewisses Maß an Naivität oder auch Trotteligkeit“ bescheinigt sich Bodo Ramelow, thüringischer Fraktionschef der Linken, in einem Brief, den er zu Wochenanfang breit versendete – an Parteivorstandsmitglieder, Landeschefs und Fraktionsvorsitzende der Linken. Oskar Lafontaine hatte seine Krebserkrankung gerade bekannt gemacht, da ließ sich Ramelow mit Gedanken zu dessen Nachfolge zitieren. In fast flehentlichem Ton appelliert Ramelow nun an seine Parteifreunde, ihm einen „flapsigen Satz“ zu verzeihen. „Ihr mögt mir Naivität oder Dummheit vorwerfen. Aber ich bitte darum, mir nicht Böswilligkeit oder gar Vorsatz zu unterstellen.“ Klar gesagt: Eine Nachfolgedebatte aus Anlass einer Krebsdiagnose halte auch er für würde- und pietätlos.

Während Lafontaine am Donnerstag nach überstandener Operation das Krankenhaus verließ, trifft sich die Linke Thüringens an diesem Wochenende zum Parteitag in Schleiz, Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi wird als Gastredner erwartet. Und der eigene Landtagsfraktionschef von seinen Genossen als Held gefeiert? „Typisch Ramelow“ lautete vergangene Woche in Berlin der gängige Kommentar nach den Interviewäußerungen des Spitzenpolitikers. Extrem ungeschickt und unpassend sei sein Vorstoß, meinten Genossen hinter vorgehaltener Hand. In den Leserbriefspalten des „Neuen Deutschlands“ empörten sich Basisvertreter über „schlechten Stil“. Ein Leser aus Rostock schrieb: „Ich finde es schlimm, wie manche aus der Parteispitze sofort schamlos spekulieren, was wohl nach Lafontaine käme. Diese Leute sollten froh sein, wenn er in den nächsten Jahren die Linke im Klassenkampf vertritt, das kann er nämlich besser als manche andere.“

Tatsächlich wirkt es gerade so, als ob Ramelow seine neue Rolle erst finden muss. Der Job des Oppositionsführers im Erfurter Landtag war nicht sein Traum, wie er selbst offen einräumt. Union und SPD lassen ihn ihre Abneigung spüren. Als Ramelow vorige Woche auf die Regierungserklärung von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) antwortete, verließen die meisten Unionsabgeordneten den Plenarsaal des Thüringer Landtags. Ein alter Reflex, so hatten sie es schon in Zeiten ihrer absoluten Mehrheit gehalten. Trotz der neuen politischen Kultur, die Lieberknechts CDU/SPD-Koalition ausgerufen hat, mochten sie noch immer nicht dem Oppositionsführer von der Linkspartei mit parlamentarischem Anstand begegnen. Einen Tag später höhnte ein rauflustiger SPD-Wirtschaftsminister Matthias Machnig bei der Debatte zum Vergabegesetz über „die Weltmacht, die Supermacht Linkspartei“, der es allerdings auch nicht gelinge, EU-Vorgaben außer Kraft zu setzen. „Sie müssen sich an Wahrheiten gewöhnen“, rief Machnig aus.

Und das heißt auch: Auf eine Regierungsbeteiligung in Thüringen muss die Linke nun wohl noch warten, mindestens fünf Jahre. Dabei war Ramelow angetreten, der erste Ministerpräsident seiner Partei zu werden, wollte die Regierungsbildung in Thüringen zu einem „Referenzprojekt“ für die gesamte Linkspartei machen. Während der Gespräche über eine rot-rot-grüne Landesregierung habe er „vor Stolz fast nicht mehr laufen können“, wie Genossen aus Berlin über ihren Parteifreund ätzen. Das Linksbündnis war schon während der Sondierungen gescheitert. Ramelow, selbst vom politischen Gegner für clever und professionell gehalten, hatte nach Einschätzung von Teilnehmern die Verhandlungen so geführt, als ob er bei Anne Will säße. Dazu verärgerte er sowohl die SPD als auch die eigene Partei mit seinem Alleingang in der Frage des rot-rot-grünen Ministerpräsidenten, woran das Linksbündnis letztlich scheiterte. Linken-Landeschef Knut Korschewsky bestätigt Katzenjammer: „Das hat auch ein Stück weit Trauer ausgelöst.“ Ramelow wiederum wird bescheinigt, dass er sich nun langweile. Womit er, zugespitzt, zu einer gewissen Gefahr für die eigene Partei werden könnte.

Ramelow gilt als unberechenbar, zuweilen detailversessen, auch als cholerisch. Einige halten ihn für einen Dampfplauderer. Wenn Genossen über Ramelow reden, tun sie das fast nie mit ungeteilter Begeisterung. Kann so einer mal Vorsitzender der Bundespartei werden? Ramelow selbst sagt, er schließe das nicht aus, doch stelle sich die Frage nicht „tagesaktuell“. Die Oppositionsarbeit in Thüringen will er nach eigenen Worten „kraftvoll und lustvoll“ absolvieren. In der oft grauen Partei sticht er mit einer gewissen Extravaganz hervor. Das zeigte sich vergangene Woche wieder, als Studenten in Erfurt gegen den Bildungsnotstand demonstrierten. Zum Protest kam nicht nur Ramelow. Auch seine Ehefrau Germana Alberti vom Hofe schaute vorbei – mit Jack-Russell-Terrier Attila.

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