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Helmut Roewer, Thüringens Ex-Verfassungsschutzpräsident.

© dapd

Thüringer Ex-Verfassungsschutzpräsident: Helmut Roewer: "Ich suche nach Fehlern, finde aber keine"

Helmut Roewer war von 1994 bis 2000 Verfassungsschutzpräsident in Thüringen. Damals war die Jenaer Neonazi-Zelle bereits bekannt. Fehler sieht er weder bei sich, noch seiner Behörde - sondern bei der Polizei.

Herr Roewer, sie waren von 1994 bis 2000 Verfassungsschutzpräsident in Thüringen. Ihrem Amt waren die Mitglieder der späteren Terrorzelle um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bekannt. Es war bekannt, dass sie Sprengstoff besaßen und womöglich Bomben bauen wollten, 1998 wurde eine Garage in Jena mit TNT gefunden, aber die Drei entkamen. Warum wurden sie nie verhaftet?

Ich weiß es nicht. Wir dachten als Verfassungsschutz: Wir haben doch alles getan, und dann werden die nicht festgenommen. Ich war einen Moment lang fassungslos.

Und danach?

Wir haben danach erneut alles versucht, wir haben gesucht, wir sind an die Leistungsgrenzen gegangen, deshalb haben wir auch Hilfe von anderen Diensten erbeten und erhalten. Wir haben observiert, Telefone abgehört, Peilsender verwendet und sind unter Vorspiegeln falscher Tatsachen ins mutmaßliche Umfeld des Trios eingedrungen. Alles Maßnahmen, für die mich die Hüter der öffentlichen Moral fertig gemacht hätten, wenn sie damals ruchbar geworden wären.

Es wurde vermutet, dass es ein Leck in der Polizei gegeben haben könnte?

Wir hatten schon lange vor 1998 die Weisung, möglichen illegalen Abfluss von Informationen aus den Polizeibehörden zu untersuchen. Ganz allgemein und nicht etwa wegen eines gezielten Verdachts der Kumpanei mit Rechtsextremisten. Dergleichen ist mir jedenfalls nicht erinnerlich. Nach dem verpatzten Zugriff auf die Bombenbauer in Jena kam Argwohn auf.

Was haben Sie falsch gemacht?

Ich habe gedacht, ich habe meinen Job ganz gut gemacht. Ich suche ernsthaft nach meinem Fehler. Aber ich finde ihn nicht. Die Leute, die mich jetzt öffentlich beschimpfen, konnten ihn auch nicht nennen. Dass das Trio auf freiem Fuß blieb, weiß ich selbst, es ist das Ergebnis, das ich verhindern wollte, und nicht der Fehler, nach dem ich suche.

Die Politik kritisiert jetzt die Verfassungsschutzbehörden scharf, die Opposition spricht teilweise von massivem Organisationsversagen.

Wenn die Politik jetzt meint, die Verfassungsschutzbehörden haben versagt, weil sie nicht zugegriffen und die mutmaßlichen Täter festgenommen haben, dann muss man die Geheimdienste abschaffen, weil sie diese Polizeibefugnis nicht haben. Wenn die Polizei in bestimmten Situationen nicht mitzieht, zeigt sich die politisch gewollte Machtlosigkeit der Dienste. Wenn man denen jetzt vorhält, dass sie nicht tun, was sie nicht können, dann sind sie überflüssig. Allerdings rate ich davon ab, die Geheimdienste mit Zugriffsrechten auszustatten. Das wäre dann eine Geheimpolizei. So was hatten wir schon mehrfach.

Ist es moralisch richtig, mit V-Männern zu arbeiten?

Es ist primär keine moralische Frage, ob es richtig ist, V-Männer einzusetzen. Es ist eine politische. Wenn ich auf sie verzichte, dann bekomme ich bestimmte Informationen zu Planungen und Gedanken der Extremisten nicht. Man kann sich fragen, ob eine Demokratie bestimmte Bürger bespitzeln darf. Man muss überlegen, was das Rechtsempfinden der Bürger stärker beeinträchtigt: Es zu tun oder nicht zu tun.

Sie haben selbst Kontakte zu V-Männern gepflegt und sind deshalb kritisiert worden.

In wenigen Einzelfällen hatte ich Kontakte zu V-Männern. Das ist kein piekfeines Geschäft, weil sie es mit Menschen zu tun haben, die andere gegen Geld verraten.

Durften Sie das?

Ich war der oberste Inhaber aller Befugnisse des Amtes, das war per Dienstanweisung des Ministers geregelt. Es ist insofern keine Geschmackssache, ob sich der oberste Chef auch um das Beschaffungsgeschäft kümmert, es ist eine Zweckmäßigkeitsfrage, und ich fand es sachgerecht, mich intensiv zu kümmern.

Wie sollten Sie als Verfassungsschutz-Präsident agieren?

Ich hatte die Weisung des Innenministers Richard Dewes, mich öffentlich zu zeigen und öffentliche Termine wahrzunehmen. Es sollte der Bevölkerung im Osten auch klar gemacht werden, der Verfassungsschutz ist nicht die Stasi. Der Verfassungsschutz sollte ein Gesicht haben. Das war nun mal meines. Ich fand das, milde gesagt, belastend.

Was haben Sie vorgefunden, als Sie das Amt 1994 übernahmen?

Als ich das Amt antrat, war ich zunächst alarmiert, denn kaum ein Mitarbeiter, sie kamen alle aus dem Westen, erfüllte die Kriterien für seinen Job. Es gab groteske beamtenrechtliche Laufbahnsprünge von Leuten, die überhaupt nicht qualifiziert waren, bei einigen wenigen hatte ich den Verdacht, dass sie in den Osten versetzt wurden, weil sie woanders entbehrlich waren.

Wurden Sie von der Politik benutzt?

In meiner Zeit als Beamter habe ich viele korrupte Strukturen in Politik und Gesellschaft gesehen. Gesetzwidrige Aufträge habe ich in den ersten sechs Jahren meiner Zeit als Amtschef nicht erhalten. Es gab nicht mal den Versuch hierzu. Nach meinem Eindruck sollte sich das im siebten Jahr ändern. Jahre später sagte ein ehemaliger Staatssekretär ganz unmissverständlich: Dieser Mann musste weg, er passte politisch nicht zu uns.

Das Gespräch mit Helmut Roewer führte Armin Lehmann.

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