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Tim Farron, Chef der Liberaldemokraten, im Wahlkampf in London.

© Dominic Dudley/imago/Pacific Press Agency

Liberaldemokraten in Großbritannien: Tim Farron, der Chef der letzten Europäer

Die Liberaldemokraten sind landesweit die einzige wirklich pro-europäische Kraft in Großbritannien. Doch nach dem Debakel von 2015 kommt die Wahl am 8. Juni für ihren neuen Chef etwas früh.

Mit Theresa May verbindet Tim Farron ein frühes Erlebnis: 1992 traten beide erstmals als Kandidaten ihrer Parteien bei einer Unterhauswahl an, im Wahlkreis North West Durham, einer Labour-Hochburg. May wurde Zweite, Farron landete auf Platz drei. Bei der Wahl am 8. Juni treten sie nun wieder gegeneinander an, nicht direkt, sondern als Köpfe ihrer Parteien. Premierministerin May wird jetzt mutmaßlich vorn liegen, Farron wohl wieder Dritter sein. Doch lässt sich die Wahlkampagne für die Liberaldemokraten nicht ganz schlecht an: Farron sammelt reihenweise neue Mitglieder, bis zu 5000 an einem Tag, so teilt es jedenfalls die Partei mit. Um die 100000 könnten es demnächst sein, die regierenden Tories haben auch nur 130000.

Ein auf der Insel prominentes Gesicht kam vorige Woche hinzu: Rachel Johnson, die Schwester von Außenminister Boris Johnson, Chefredakteurin der Zeitschrift „The Lady“ und Mitglied im konservativen Modernisierer-Thinktank „Bright Blue“. Wer gegen den Brexit ist  wie sie, dem bleiben nur noch die Liberaldemokraten (und in Schottland die linke Nationalpartei). Denn die Tories haben ihn unter May zu ihrem Programm gemacht, und Labour fährt eine Politik des „nicht anders, aber besser“. Farron ist erklärter Pro-Europäer, er ist Jahrgang 1970 und kennt sein Land nur als EU-Mitglied. Im Wahlkampf fordert er jetzt, Großbritannien müsse zumindest im EU-Binnenmarkt bleiben – was May schon ausgeschlossen hat. Das Ergebnis des Referendums umzudrehen, wäre allerdings eine vermessene Forderung. „Wir können das Land vor einem harten Brexit bewahren“, lautet daher Farrons Devise. Immerhin wollen bisher nur die Liberaldemokraten ein zweites Referendum über das Ergebnis der Austrittsverhandlungen.

Noch kein massiver Aufschwung

Dass Farrons Partei auch massiv an Stimmen zulegen wird, ist derzeit aber nicht auszumachen. Im Schnitt der Umfragen lagen die „LibDems“ zuletzt bei knapp elf Prozent, 2015 hatten sie 8,1 Prozent gewonnen. Im britischen Mehrheitswahlsystem kommen nur Wahlkreissieger ins Unterhaus, und ein Plus von drei Prozentpunkten deutet nicht darauf hin, dass es weit mehr als die bisher neun Abgeordneten in Westminster werden.

Der Vegetarier, verheiratete Vater von vier Kindern und evangelikale Christ ist der Wahlkreiskönig in der kleinen Truppe. Seit er den Konservativen den bis dahin sicheren Wahlkreis Westmorland and Lonsdale im Nordwesten Englands 2005 in einem knappen Rennen abnahm, hat er zweimal souverän gewonnen: mit 60 Prozent im Jahr 2010 und - trotz des Einbruchs der Partei – mit 51,5 Prozent fünf Jahre später. Das Debakel der Liberaldemokraten bei der vorigen Wahl war jedoch Farrons Chance, Fraktionschef im Parlament zu werden (und damit, nach der britischen Tradition, praktisch auch Parteiführer). Unter seinem Vorgänger Nick Clegg waren die Liberaldemokraten nach einem Top-Ergebnis von 23 Prozent in eine Koalition mit den Konservativen gegangen. Doch das Bündnis mit David Cameron verlief für die Partei katastrophal, die Tories gönnten dem Partner kaum einmal einen Punkt, die Vorstellung der Partei blieb blass. Anhänger links der Mitte liefen in Scharen davon.

Ausdrücklich linksliberal

Farron, der seine Partei seither ausdrücklich als linksliberal einstuft, versucht seit zwei Jahren, die alte Stärke zurückzugewinnen. Doch ist der Status einer kleinen Partei in Großbritannien immer prekär – da die Briten Koalitionen abgeneigt sind, gibt es praktisch keine Koalitionswahlkämpfe. Auch jetzt gibt es keinen ernsthaften Versuch, Labour, Liberaldemokraten, Schottische Nationalpartei und Grüne in einer landesweiten "progressiven Allianz" für den 8. Juni zusammenzubringen. Immerhin führt sein klar pro-europäischer Kurs dazu, dass die Liberaldemokraten in den kommenden Jahren den Unmut, der sich aus Mays Austrittsverhandlungen ergeben dürfte, zu ihren Gunsten nutzen können.

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