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Politik: Tödliches Gerücht

Angst vor einem Selbstmordanschlag löste die Panik in Bagdad aus. War es ein Racheakt von Sunniten?

Es waren wohl lediglich Gerüchte über einen Selbstmordattentäter in der Menge, die am Mittwoch die Massenpanik in Bagdad auslösten, bei der möglicherweise 1000 Schiiten starben. Die Menschen waren zum Todestag des 7. Imams Musa al Kadhim an dessen Schrein im Norden Bagdads zusammengekommen. Wenige Stunden vor der Katastrophe hatten aber bereits Granatenangriffe auf die Pilger vor der Kadhimija-Moschee 16 Menschen getötet und etwa 30 weitere verletzt. Wer hinter diesem Angriff steht, ist unklar.

Der schiitische Sicherheitsberater der Regierung, Muwaffaq Rubai, hatte in der BBC noch Gefolgsleute von Saddam Hussein, des jordanischen Terroristen al Sarkawi und von Al Qaida für einen Anschlag verantwortlich gemacht, der nach seinen Angaben die Panik ausgelöst haben soll. Für die These, ausländische Terroristen hätten einen Anschlag auf die Religionsgemeinschaft verübt, sprechen die extremistischen Parolen al Sarkawis: Der Sunnit nennt die Schiiten gottlos und hat dazu aufgerufen, sie zu töten.

Doch die angespannte politische Lage nach der Verabschiedung eines Verfassungsentwurfs lässt auch andere Überlegungen zu: Die Schiiten, welche die Bevölkerungsmehrheit stellen, haben zusammen mit den Kurden die Einwände der Sunniten übergangen und am Wochenende einen Verfassungsentwurf vorgelegt, über den das Volk im Oktober abstimmen soll. Darüber sind viele Sunniten verbittert. Prominente Vertreter der Minderheit, die etwa ein Fünftel der Bevölkerung stellt, riefen am Montag dazu auf, die Verfassung abzulehnen. Geschieht dies in mindestens drei Provinzen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit, muss eine neue Verfassung ausgehandelt werden.

Dass sie bei Verabschiedung des Verfassungsentwurfs quasi übergangen worden sind, vermittelt den Sunniten kaum das Gefühl, sie hätten einen festen Platz im neuen Irak. Die Hoffnung, durch die Annahme der Verfassung dem hauptsächlich von Sunniten getragenen Aufstand gegen Besatzungstruppen und irakische Regierung einen Teil des Rückhaltes zu entziehen, ist getrübt. Möglicherweise waren zumindest die Granatenangriffe auf die schiitische Menge auch eine Art „Rache“ für das politische Übergehen der Sunniten in der Verfassungsfrage.

Kommentatoren warnen seit Beginn des Irakkriegs vor dem Ausbruch eines Bürgerkriegs. Der Leiter der Nahostabteilung der International Crisis Group, Jost Hiltermann, will davon trotz der regelmäßigen Anschläge auf schiitische Gläubige aber nicht sprechen. Seiner Ansicht nach kämpfen nicht die Vertreter verschiedener Religionsgruppen gegeneinander. Hiltermann vermutet dagegen, dass vor allem Terroristen Anschläge auf die einzelnen Religionsgruppen verüben. Die religiösen Führer der Schiiten sowie der Sunniten würden dagegen ihre Gefolgsleute sogar besänftigen.

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