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Grünen-Parteitag: Treffen ohne Firlefanz

Die Grünen wollen bei ihrem Parteitag in Kiel über die Berliner Querelen hinwegkommen – vielleicht stolpern sie aber auch darüber.

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Wenn die Grünen an diesem Freitag in Kiel zu ihrem Bundesparteitag zusammenkommen, beginnt für Renate Künast eine dreitägige Prüfung. Die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, im vergangenen Herbst unter dem Jubel ihrer Parteifreunde angetreten, Berlins Regierenden Bürgermeister aus dem Roten Rathaus zu werfen, ist nach ihrer Wahlniederlage zu einer Symbolfigur geworden. Künast steht jetzt für das vorläufige Ende des grünen Höhenflugs, an dessen Scheitelpunkt die Ökopartei sogar die Bundes-SPD in Umfragen eingeholt hatte. Schlimmeres kann einer so ehrgeizigen Politikerin kaum passieren.

Künast darf sich davon in Kiel aber nichts anmerken lassen. Für sie geht es vor allem darum, das Verlierer-Image wegzureden, wenn sie im Bundestagswahlkampf 2013 ganz vorne mitmischen will. Darin besteht Künasts Prüfung, in Kiel und anderswo.

Wohin es führen kann, wenn sich riesige Erwartungen nicht erfüllen, demonstriert Künasts Berliner Landesverband derzeit auf eindrucksvolle Weise: Seit die grüne Blase geplatzt ist und die Hauptstadt-Grünen in der Opposition gelandet sind, tobt in ihren Reihen ein Flügel- und Richtungskampf. Parteifreunde in anderen Bundesländern fühlen sich an die ideologischen Schlachten aus der Frühzeit der Grünen erinnert. Es war die Zeit, als Fundis und Realos sich rücksichtslos bekriegten und die Ökopartei Lichtjahre von jeder Regierungsfähigkeit entfernt schien.

Manche befürchten schon, dass die Berliner Malaise übergreifen und die politische Zuverlässigkeit der Bundespartei infrage stellen könnte. „Wenn man in alte Rollenmuster zurückfällt, hat das immer Auswirkungen“, warnt etwa die Vizechefin der Bundestagsfraktion, Ekin Deligöz. Und der Berliner Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland schimpft: „Die Berliner Querelen ziehen uns bundesweit nach unten, das muss aufhören!“

Die harte Landung in Berlin allein freilich kann nicht erklären, warum auch die Bundespartei in Umfragen seit vergangenem Herbst rund zehn Prozentpunkte verloren hat. Damals profitierten die Grünen davon, dass mit der von Schwarz- Gelb zunächst verkündeten Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke ihr Gründungsthema im Mittelpunkt stand. Nach der Katastrophe von Fukushima erzielte die Anti-Atom-Partei in Baden-Württemberg einen historischen Erfolg und stellte erstmals einen Ministerpräsidenten, den grundsoliden Oberschwaben Winfried Kretschmann.

Das wichtigste Mobilisierungsthema hat die Kanzlerin den Grünen mit der schwarz-gelben Atomwende allerdings genommen. Inzwischen beunruhigen andere Katastrophen die Deutschen. Die EuroKrise und eine wahrscheinliche Konjunktureintrübung werfen harte ökonomische Fragen auf. Viel Kompetenz auf dem Feld der Finanz- und Wirtschaftspolitik aber trauen die Bürger der Ökopartei noch immer nicht zu. „Mit dem Atomausstieg ist unser Hauptthema abgeräumt, jetzt geht es darum, sich in der Parteienlandschaft neu zu präsentieren“, sagt ein Bundestagsabgeordneter.

Höhere Steuern und die Stabilisierung der Staatsfinanzen, Wirtschaftspolitik, europäische Integration, der Kampf gegen Rechtsextremismus und die Netzpolitik – das sind die Themen, mit denen sich die Delegierten in Kiel beschäftigen sollen. Insofern ist der Parteitag auch eine Art Arbeitstherapie gegen Frust und Verunsicherung in schwierigen Zeiten. Konzentration auf Inhalte: Fraktionsvize Fritz Kuhn glaubt, dass genau das von seiner Partei erwartet wird, nicht nur in Kiel: „Die Leute wollen keinen Firlefanz, die Leute wollen uns schaffen sehen.“

Ob das den Grünen in den zwei Jahren bis zur Bundestagswahl gelingt, hängt auch davon ab, welche Lehren sie aus dem Berliner Debakel ziehen. Seit Künast in der Hauptstadt mit dem Offenhalten der schwarz-grünen Option gescheitert ist, diskutieren führende Grüne mit Verve über die Koalitionsfrage 2013. Für Künast und ihren Kofraktionschef Jürgen Trittin hat sich Schwarz-Grün damit erledigt. Führende Realos wie Parteichef Cem Özdemir warnten hingegen vor einer vorschnellen Festlegung auf Rot-Grün.

In Kiel soll dieser Streit offiziell keine Rolle spielen. Aber er beschäftigt viele ihrer führenden Vertreter mindestens so sehr wie die viel beschworenen Sachthemen. Während die Parteilinke mit dem Kurs gegen Schwarz-Grün sehr gut leben kann, hadert das Realo-Lager mit sich selbst und mit Künast. Intern wird ihr Verrat am eigenen Lager vorgeworfen, weil sie die Möglichkeit von Bündnissen mit der Union preisgegeben hat.

Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke freilich setzt darauf, dass in Kiel sorgfältig vorbereitete und lang debattierte Kompromisse zwischen den Flügeln solchen Streit vergessen machen. Der Parteitag, so sagt sie forsch voraus, sei „die Antwort auf die Probleme in Berlin“.

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