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© Mike Wolff

Treffpunkt Tagesspiegel: Die Konflikte kommen noch

Die Wirtschaftskrise wird die Wahl entscheiden. Darin waren sich beim Treffpunkt Tagesspiegel zur Bundestagswahl am Mittwochabend alle einig, die Experten wie die Zuhörer.

Ob die Parteien es wollen oder nicht, es gibt ein alles überlagerndes Thema selbst in diesem Wahlkampf. Die weltweite Wirtschaftskrise wird einen erheblichen Einfluss auf die Wahlentscheidung der Deutschen am kommenden Sonntag haben.

Darin waren sich beim Treffpunkt Tagesspiegel zur Bundestagswahl am Mittwochabend im Berliner Hotel Intercontinental alle einig, die Experten wie die rund 250 Zuhörer. Dagegen verblassen etwa die Versuche der SPD, die Zukunft der Atomkraft in den Vordergrund zu rücken, oder vermeintlich schlummernde Ängste in der Bevölkerung vor einer schwarz-gelben, sprich neoliberalen Regierung zu wecken.

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"Die Menschen tendieren nicht zum Wechseln" Anja Kohl, Börsenexpertin. -

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„Dieser Wahlkampf ist unglaublich spannend, weil er nicht existiert“

Bemerkenswert ist aber, dass die Parteien kaum mit konkreten Lösungsvorschlägen um Zustimmung werben. Auf CDU-Plakaten beispielsweise sind selten mehr als einzelne Schlagworte zu lesen. „Dieser Wahlkampf ist unglaublich spannend, weil er nicht existiert“, sagte Thomas Kliche, Experte für politische Psychologie an der Universität Hamburg. So einen unpolitischen Wahlkampf, der an den Problemen der Menschen komplett vorbeigehe, habe es noch nie gegeben. „Die Politik hat ihre Würde verloren“, kritisierte Kliche, da sie keine Gestaltungsfähigkeit mehr demonstriere.

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"Das Wahlsystem verhindert klare Mehrheiten" Jürgen Falter, Politologe. -

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Der Grund dafür könnte allerdings auch an den Wählern selbst liegen, gab Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen zu bedenken. „Die Bürger sprechen sich doch regelmäßig für ein entschiedenes Sowohl-als-auch aus“, sagte er. Wichtig sei ihnen, dass die politischen Maßnahmen nicht unbequem würden. Das wüssten die Parteien, nicht zuletzt die Union, die für ihre Offenheit beim letzten Mal abgestraft worden sei. CDU/CSU hatten im Jahr 2005 vor der Wahl angekündigt, die Mehrwertsteuer um zwei Prozent zu erhöhen. „Wir erwarten von den Politikern absolute Ehrlichkeit – wofür sie dann aber im Nachhinein abgestraft werden“, sagte der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter. Das liege am deutschen Wahlsystem, das keine klaren Mehrheiten mehr hervorbringe und die Parteien in Koalitionen zwinge. Parteien könnten nur Absichten zu erkennen geben, für den eigentlich ausgeschlossenen Fall einer Alleinregierung. „Wir nehmen Politikern übel, dass sie nicht anders können“, sagte Falter.

Konsequenz: eine niedrige Wahlbeteiligung

Dass die jetzige Wahlkampfstrategie der Union am Ende aufgehen könnte, ist indes nicht ausgeschlossen. „Die Menschen wollen in dieser Lage Sicherheit und tendieren eher nicht zu einem Wechsel“, sagte die ARD-Börsenkorrespondentin Anja Kohl. Da punkte die Union, wenn sie eine beruhigend lächelnde Angela Merkel mit dem Slogan „Zuversicht“ oder à la Obama „Wir haben die Kraft“ plakatiere, ergänzte Jung. Die Konsequenz dieses eher unspannenden Wahlkampfes werde eine niedrigere Wahlbeteiligung sein. Das nutze der Union, da deren meist ältere Anhänger eher zur Wahl gingen.

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"Die Bürger sprechen sich für ein Sowohl-als-auch aus" Matthias Jung, Meinungsforscher. -

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uf einen anderen Grund für den wenig polarisierenden Wahlkampf wies Falter hin: Die Gesellschaft werde künftig mehrheitlich aus Transferempfängern bestehen. „Die Öffentlichkeit ist sozialdemokratisch geworden“, und das sei auch der Grund für „den sozialpolitischen Linksruck der Union“ und die daraus fehlende Trennschärfe zur SPD. Der Leistungsgedanke, wie ihn die FDP vertrete, werde zur Mindermeinung. „Jede Partei, die Volkspartei sein will, muss sich daran orientieren“, sagte Falter. „Das Konfliktpotenzial ist noch gar nicht erfasst“, meinte auch Jung. Der Meinungsforscher prophezeit Verteilungskämpfe, da das Bruttosozialprodukt angesichts der demografischen Veränderungen bald von einer Minderheit erwirtschaftet werde. „Die nichterwerbstätige Mehrheit – und damit vorwiegend die Älteren – entscheiden dann, wohin das von der Minderheit erwirtschaftete Geld gehen soll.“

Juliane Schäuble

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