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Protest im Liegen. Eine Frau spielt, sie sei von der Armee getötet worden.

© REUTERS

Triumph der Rothemden: Bangkok ist wieder rot

Ein Jahr nach der Konfrontation von Rothemden und Militär ist die Oppositionsbewegung breiter denn je. Die Bewegung wird selbstbewusster. Ihre Anhänger verlangen, dass die Armee für die Tötung von Zivilisten zur Rechenschaft gezogen wird.

Zehntausende Demonstranten der „Einheitsfront für Demokratie gegen Diktatur“ (UDD) drängen sich in den breiten Hauptverkehrsstraßen, die auf das große Demokratie-Denkmal im Zentrum von Bangkoks Altstadt führen. Fast alle tragen die Farbe Rot, was der Bewegung den Beinamen „Rothemden“ gegeben hat. Auf Transparenten steht: „Kampf für Demokratie.“ Auf einem ist zu lesen: „Ihr könnt uns nicht alle umbringen“, auf einem anderen: „Wenn Demokratie in Tunesien und Ägypten gewinnt, können wir auch hier gewinnen.“

Die Demonstranten sind gekommen, um an die tödlichen Zusammenstöße mit der Armee zu erinnern, die sich hier vor genau einem Jahr abgespielt haben. Damals hatte die UDD bereits vier Wochen lang an der nahe gelegenen Phan-Fa-Brücke für vorgezogene Neuwahlen protestiert, als die Armee versuchte, die Kundgebung gewaltsam aufzulösen. Nach stundenlangen Straßenkämpfen, bei denen Soldaten auch aus Hubschraubern Tränengaskanister in die Menge geworfen hatten, griffen Unbekannte plötzlich in einer Seitenstraße schwer bewaffnete Soldaten mit Handgranaten an. Bürgerkriegsähnliche Kämpfe brachen aus.

Als sich die Armee nach mehreren Stunden zurückzog, waren 26 Menschen gestorben: fünf Soldaten, 20 Demonstranten und der japanische Reuters-Kameramann Hiro Muramoto. Bis zur gewaltsamen Auflösung der Proteste am 19. Mai 2010 hatten bei weiteren schweren Zusammenstößen 91 Menschen ihr Leben verloren, mehr als 1800 wurden verletzt. Zur Rechenschaft gezogen wurde bislang niemand.

„Wir erinnern an die Gewalt gegen das thailändische Volk vor einem Jahr. Wir fordern Gerechtigkeit“, sagt Protestführer Nattawut Saikua. Er und einige weitere Anführer der Proteste vor einem Jahr wurden erst kürzlich gegen Kaution aus der Haft entlassen und sprechen heute auf einer großen Bühne, die vor dem Demokratiemahnmal steht. Der Protest stellt zugleich eine Form von Wahlkampfauftakt dar. Am Sonntag hat Premierminister Abhisit Vejjajiva sein Versprechen erneuert, dass im Juli vorgezogene Neuwahlen abgehalten werden sollen.

In der Menschenmenge auf der Hauptstraße steht eine Gruppe Studenten. „Wir sind gekommen, um die Rothemden als Bewegung zu unterstützen“, sagt Suluck Lambubon. Sie studiert Geschichte an der konservativen Chulalongkorn-Universität in Bangkok. „Wir sind selbst keine Anhänger der UDD, aber wir unterstützen progressive Bewegungen.“ Studenten waren bei den Protesten vor einem Jahr nicht zu sehen. Ihre Anwesenheit zeigt, wie stark sich die Rothemden- Bewegung in nur einem Jahr gewandelt hat: Damals war die UDD eine vorwiegend aus ländlichen Unterstützern bestehende Protestgruppe, die sich für den 2006 von der Armee aus dem Amt geputschten Ex-Premierminister und Populisten Thaksin Shinawatra eingesetzt hat. Seitdem hat die Bewegung auch in der Mittelschicht in den Großstädten immer mehr Anhänger gewonnen.

Bei den Mitarbeitern der „Wahrheits- und Aussöhnungs-Kommission“ herrscht dieser Tage eine gewisse Ernüchterung. „Erst seit kurzem erscheint die Armee überhaupt zu unseren Anhörungen. Davor habe die sich immer geweigert, jemand zu schicken“, sagt eine Mitarbeiterin der Kommission.

Bei einer Zeugenanhörung geht es um die sechs Menschen, die in den Stunden nach der Niederschlagung der Proteste am 19. Mai 2010 in einem buddhistischen Tempel, der als Schutzzone für Zivilisten ausgewiesen war, getötet worden sind. Der Sohn einer getöteten Krankenschwester beschreibt eindrücklich, wie er irgendwann einen Anruf über das Handy seiner Schwester bekommen hat. Eine unbekannte Stimme habe ihm gesagt, dass die Mutter tot sei. Später beschreiben Armeevertreter, wie Soldaten an dem Tag auf den Gleisen der Hochbahn, die direkt neben dem Tempel liegt, vorgerückt seien und von Unbekannten beschossen worden seien. Dann seien Bewaffnete gesehen worden, wie sie in den Tempel gerannt seien. Die Soldaten hätten auf eine Mauer des Tempels gefeuert, um die vermeintlichen Angreifer abzuschrecken. Schon das ist ein Eingeständnis. Denn kurz nach dem Zwischenfall hatten Armee und Regierung vehement bestritten, dass Soldaten auf den Gleisen der Hochbahn stationiert gewesen seien.

Mehrmals sind in den vergangenen Monaten Dokumente aus der Untersuchungsbehörde „DSI“ nach außen gesickert, in denen die Armee wegen der getöteten Zivilisten schwer belastet wurde. Das DSI untersteht dem Innenministerium. DSI-Sprecher haben die Dokumente stets schnell als „unvollständig“ bezeichnet oder deren Echtheit angezweifelt. Kurze Zeit später veröffentlichte das DSI neue Untersuchungsberichte – nach denen in keinem einzigen Fall Soldaten die Schuld an den Todesopfern nachgewiesen werden könne.

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