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Politik: Trübsal am Nationalfeiertag

Die Franzosen feiern – aber wirtschaftliche Probleme drücken aufs Gemüt

Normalerweise wäre es eine Routine- Übung für Jacques Chirac, wenn Frankreich heute den Nationalfeiertag begeht: Wie jedes Jahr am 14. Juli wird Frankreichs Präsident bei einem Fernsehinterview Fragen zur Innen- und Außenpolitik beantworten, die zuvor mit ihm abgesprochen wurden. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Chirac steht unter Druck. Vom dem ansonsten unspektakulären Interview verspricht sich die Presse sehr viel. „In den zehn Jahren seiner Präsidentschaft ist das Chiracs wichtigstes Interview“, schreibt die konservative Zeitung „Figaro“.

Chirac hat ein „annus horribilis“ hinter sich. Nach einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage haben 60 Prozent der Franzosen kein Vertrauen mehr in ihren Präsidenten. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 10, 2 Prozent. Die Olympischen Sommerspiele 2012 werden in London und nicht in Paris stattfinden. „Frankreich bläst Trübsal“, resümiert die Tageszeitung „Le Parisien“ den Seelenzustand der Franzosen. Dafür müssen Chirac und die Regierung seines Intimus Dominique de Villepin herhalten.

De Villepin war ins Amt des Premierministers eingezogen, nachdem die Franzosen die EU-Verfassung abgelehnt hatten. Sechs Wochen ist das inzwischen her. Damals versprach de Villepin, „in 100 Tagen alles zu tun, um den Franzosen das Vertrauen zurückzugeben“. Bisher sind die Ergebnisse der neuen Regierung mager.

Zu allem Überfluss muss Chirac einen Personalkrieg zwischen de Villepin und seinem Intimfeind, Innenminister Nicolas Sarkozy, mit ansehen. Sarkozy kritisiert de Villepins Politik offen. Der Innenminister hat aus seiner Absicht, Chirac 2007 als Präsident beerben zu wollen, nie ein Hehl gemacht. Seine Chancen stehen gut. „Die Franzosen sind der altbackenen Rezepte überdrüssig. Sie sehnen sich nach einem innovativen politischen Projekt, das Sarkozy verkörpern könnte“, glaubt der Soziologe Gérard Mermet.

Der übereifrige Sarkozy versteht sich prächtig mit US-Außenministerin Condoleezza Rice und hält die Paris–Berlin- Achse für nicht mehr zeitgemäß – womit er sämtliche gaullistischen Gebote Chiracs über Bord wirft. Noch unverdaulicher ist allerdings die ideologische Nähe, die Sarkozy zum britischen Premier kultiviert. „Sarko“ schwärmt für Tony Blair, und er lässt es gern wissen. Es sei nun mal kein Wunder, dass die Olympischen Spiele 2012 an London gegangen seien, sagte er am Wochenende in einer Rede. Frankreich müsse Selbstkritik üben, anstatt darüber zu lamentieren, dass „die Welt uns nicht versteht“. Der Saal reagierte begeistert.

Guillaume Decamme[Paris]

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