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Links die USA, rechts Mexiko. Donald Trump will die Grenzbefestigung auf 3200 Kilometern ausweiten.

© Anna Sauerbrey

Trumps Grenzschutzpläne: Die getrennten Staaten von Amerika

3200 Kilometer lang ist die Grenze zwischen den USA und Mexiko. Hier wird Identität verteidigt und Freiheit gesucht. Und gestorben. Eine Reportage.

Von Anna Sauerbrey

Durch das Insektennetz vor der Tür des Wohnwagens sieht Tim Foley die Sonne aufgehen. Der glühende Himmel durchringt die wellig gewordenen, grauen Maschen, Vögel zwitschern, Rocko, der Pitbull, hebt den Kopf. Tim Foley steckt seine Glock in das Halfter an seinem Gürtel und tritt hinaus. Der rote Staub vor dem Trailer leuchtet. Ein guter Tag für einen Erkundungsmarsch, nicht zu heiß. 34, 35 Grad sind für die Sonora-Wüste vorhergesagt. Foley betrachtet die karge Landschaft. Irgendwo da draußen, eine halbe Stunde Autofahrt entfernt, beginnt Mexiko.

Foley ist Ende fünfzig, vom Wetter alterslos gegerbt. Ein sehniger Typ, Arme und Hals sind tätowiert, doch seine Haut ist so dunkel, die Motive sind nicht mehr zu erkennen. Er schüttet Hundefutter in eine Metallschüssel, füllt eine zweite mit Wasser, klopft dem Pitbull auf die Flanken. Nächsten Freitag erwartet er ein Dutzend Freiwillige zu einer „Operation“ des „Arizona Border Recon“, der „Grenzaufklärung Arizona“. Tim Foley hat „AZBR“ 2010 gegründet. Auf der Webseite heißt es, die Gruppe stelle „Wissen und Sicherheitsdienste in Partnerschaft mit dem US-Grenzschutz“ zur Verfügung. In der Nachbarschaft sagen die Leute, Tim Foley sei Chef einer Miliz, die in der Wüste schwer bewaffnet Jagd auf Migranten macht, um sie dann den staatlichen Grenzschützern zu übergeben. Außerdem sei er verrückt.

Nach dem Frühstück, um 9.15 Uhr, steigt Foley in einen weißen Pick-up- Truck. Er will heute ein bergiges Gebiet südwestlich von Arivaca erkunden, der letzten Siedlung vor der Grenze. Er will herausfinden, ob die Kartelle, die in der Wüstenregion zwischen dem mexikanischen Bundesstaat Sonora und dem amerikanischen Bundesstaat Arizona Menschen über die Grenze schleusen, neue Routen nutzen.

Donald Trump will an der Grenze eine Mauer bauen. In der Sonora wird um die amerikanische Identität gerungen

3200 Kilometer lang ist die amerikanisch-mexikanische Grenze. Sie verläuft von der texanischen Golfküste bis nach San Diego, Kalifornien. Fast die Hälfte des Weges von Ost nach West, quer über den amerikanischen Kontinent, folgt sie dem Rio Grande, der wie eine natürliche Grenzbefestigung wirkt. Von der Stadt El Paso in Texas bis zum Pazifik führt sie durch Wüstengebiete. Entlang dieser Strecke stehen schon heute rund 1200 Kilometer Zaun, allerdings nicht durchgängig. In Pima County, wo Tim Foley lebt, also in der Region um die Großstadt Tucson in Arizona, ist die Grenze auf 120 Kilometern nicht mit Bauwerken gesichert. Einige der Hauptrouten illegaler Einwanderer in die Vereinigten Staaten führen durch das County.

Hier und im texanischen Teil der Grenze gibt es auch die meisten Todesfälle. 239 Tote registrierten die Vereinten Nationen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres an der amerikanisch-mexikanischen Grenze insgesamt. In Pima County allein kamen bis Ende Juli 96 Menschen ums Leben, bei dem Versuch, die Sonora-Wüste zu durchqueren. Drei bis fünf Tage dauert der Fußmarsch. Natürliche Wasserquellen gibt es außerhalb der Monsunmonate keine.

Hier also will Donald Trump eine Mauer bauen - die bestehenden Zäune ersetzen, die Lücken schließen. Noch immer hat der Kongress Trump kein Geld dafür bewilligt. Dennoch wurden in San Diego in diesen Tagen acht Prototypen fertiggestellt. „Schön“ und „groß“ soll die Mauer sein, sagt Trump, sie solle das Land schützen, vor Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, vor kulturellem Wandel, vor Drogen und Kriminalität. Für seine Gegner ist das Projekt absurde Pseudo- Politik und ein Sinnbild für den neuen amerikanischen Isolationismus. Die Mauer ist zum Symbol geworden - für den Kampf um die Identität der Vereinigten Staaten.

Tim Foley will die Identität seines Landes bewahren. Rebecca Fowler will das Sterben verhindern. Lazaro sucht den amerikanischen Traum

Das ist die Geschichte von drei Menschen, die in der Sonora-Wüste um ihr jeweils ganz eigenes Amerika ringen. Tim Foley will die Identität seines Landes bewahren, indem er es auf eigene Faust gegen Neuankömmlinge verteidigt. Rebecca Fowler sucht das großherzige Einwanderungsland, das Sterben an seiner Grenze nicht zulässt. Und Lazaro macht sich aus Mexiko auf den Weg auf der Suche nach dem großen amerikanischen Traum: Freiheit und Wohlstand für alle.

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Kurz nachdem Lazaro losgegangen ist, postet er in kurzer Folge zwei Bilder auf Facebook: Das eine zeigt einen unwirklich leuchtenden Weg aus rotem Staub in der Morgendämmerung, das andere zwei miteinander verwachsene Saguaro-Kakteen. Es sieht aus, als lege der eine dem anderen die Hand auf die Schulter und lasse sich durch die Wüste führen. Dann steigt die Sonne höher. Lazaro vergisst Facebook.

Er stammt aus Santa Cruz, einer Großstadt im Süden Mexikos und ist 19 Jahre alt. Sein Nachname soll unerwähnt bleiben - mit dem illegalen Grenzübertritt macht er sich strafbar. Losgelaufen ist er in der Nähe von Nogales, einer mexikanischen Grenzstadt. Er will nach Tucson. Um das Grenzgebiet betreten zu können, hat Lazaro in Nogales eine „Gebühr“ von 800 Dollar an das Schlepperkartell entrichtet, das die Gegend kontrolliert. Ein begleiteter Grenzübertritt mit einem „Koyoten“, einem mit GPS-Gerät ausgerüsteten Schlepper, hätte 2000 Dollar gekostet. Nach Schätzungen der Border Patrol liegt der Preis für die Passage entlang der Südwestgrenze der USA zwischen 1500 und 9000 Dollar.

Am Morgen des zweiten Tages, es dämmert, geht ihnen das Wasser aus

Auf der mexikanischen Seite, kurz vor der Grenze, trifft Lazaro zwei Ureinwohner des Stammes der Tohono O'odham. Ein Teil des Stammes lebt auf der mexikanischen, ein Teil auf der amerikanischen Seite der Grenze. Die beiden Männer wollen nach Norden durch die Wüste in den amerikanischen Teil des Stammesgebietes und bieten Lazaro an, sich ihnen anzuschließen. Sie gehen einen Tag und eine Nacht, ohne zu schlafen. Sie essen und trinken im Gehen. Einmal, in der Nacht, hören sie ein Brummen. Der Pfad führt an einem Flutlichtstrahler vorbei, der an einen Bewegungsmelder angeschlossen ist. Ein Generator versorgt die Anlage mit Strom. Einer von Lazaros neuen Freunden robbt sich heran und schaltet das Gerät aus. Das Brummen verstummt. Am Morgen des zweiten Tages, es dämmert, geht ihnen das Wasser aus.

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Rebecca Fowler schaltet in den Vierradantrieb, biegt auf eine Sandpiste ab und verflucht einen Klempner. Seit drei Tagen schläft sie jetzt schon bei einer Bekannten auf der Couch, weil der Handwerker nicht fertig wird. Fowler hat ihr schulterlanges, grau-blondes Haar zu einem Zopf gebunden. Auf der Rückbank des roten Jeeps lauschen Sarah, Bryan und Frank schweigend der Tirade. Sarah ist 62, eine pensionierte Krankenschwester. Bryan ist um die 30. Er trägt einen Schnurrbart und einen Cowboyhut und betreibt in Tucson zwei hippe Bars. Frank ist Umweltwissenschaftler im Ruhestand. Er ist erst vor Kurzem aus Tennessee nach Tucson gezogen, um in der Nähe seiner Tochter zu wohnen.

Es ist acht Uhr morgens. Um sechs Uhr sind die vier von Tucson aus in die Wüste aufgebrochen. Jetzt, am Ende einer langen Fahrt über immer kleinere Landstraßen und Sandpisten, stoppt Fowler den Jeep vor einem Stacheldrahtzaun. Sie und die anderen sind Aktivisten der Tucson Samaritans, einer Hilfsorganisation, die entlang der unzähligen Pfade und Wege der Migranten durch die Wüste Wassercontainer und Pakete mit Essen ablegen, um das Sterben zu verhindern.

Die Tucson Samaritans bringen Wasser in die Wüste, um das Sterben zu verhindern

Fowler, Sarah, Bryan und Frank nehmen Kanister mit Wasser aus dem Kofferraum. Sarah biegt den Stacheldraht auseinander und die anderen ducken sich hindurch. Hinter dem Zaun liegt eine sandige Ebene, Büsche mit nackten, dornigen Zweigen, Kakteen, eine Viehtränke. Unter einem schütteren Baum mit kurzem, knorrigem Stamm liegen leere Konservendosen und etwa ein Dutzend schwarze Wasserkanister auf dem Boden. „Das hier ist ein Abholplatz“, sagt Fowler. „Hier warten die Migranten auf die Fahrer der Kartelle. Kommt, schauen wir, ob hier irgendjemand ist.“

Ein Kolibri fliegt auf. Einen Augenblick lang steht der winzige Vogel wie eine surrende Drohne über der Gruppe. Dann huscht er davon. Fowler wischt sich den Schweiß von der Stirn. Unter einem Busch blitzt etwas Weißes auf. Im Schatten dorniger Zweige liegen große Knochen. Das bare Skelett ist von der Sonne gebleicht. Rebecca deutet auf einen unterarmlangen Kieferknochen. „Nur eine Kuh“, sagt sie.

Vor ein paar Jahren hat Rebecca einmal nicht weit von hier einen menschlichen Schädel in einem Straßengraben gefunden. Der Rest des Körpers blieb verschwunden. „Hier ist niemand“, sagt Sarah. „Gehen wir zurück zum Wagen.“

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Einen halben Tag lang folgt Tim Foley einem trockenen Bachbett hangaufwärts. In den Monsunmonaten Juli und August regnet es heftig. Die Wüste erblüht und das Wasser wäscht tiefe Gräben ins Erdreich. Ist der Regen vorbei, bleiben nur Kies und Geröll. Sie bilden natürliche Schneisen durch das dornige Dickicht und sind die Wege der Migranten. Dieses Bachbett ist offenbar tatsächlich eine neue Route, wird Foley später erzählen. „Habe ein paar von den Schuhen gefunden, die sie verwenden“, breite Überschuhe aus Stoff, mit Teppichstücken als Sohle. Sie hinterlassen auf Staub und Sand kaum Spuren.

Wenn Foley über das spricht, was die Freiwilligen seiner „Grenzaufklärung“ tun, sagt er: „Ich verstehe das als ein Spiel, das die Regeln dreier Spiele vereint. Das erste ist Verstecken'. Das zweite, wenn wir wissen, wo sie sind, ist Schach - ich nutze meine Figuren, um sie zu blocken. Das dritte ist Whac-A-Mole.“ Whac-A-Mole ist ein Spielhallen- und Computerspiel, bei dem Maulwurfsfiguren nach zufälligem Muster aus Löchern schauen und wieder verschwinden. Ziel des Spiels ist es, möglichst viele mit einem Holzhammer auf den Kopf zu treffen.

Als sei ihm klar, wie sich das anhört, fügt Foley hinzu, Gewalt wolle er unbedingt vermeiden. Bei der Auswahl seiner Leute sei er sehr sorgfältig. Alle, die an einer seiner Operationen teilnehmen wollen, müssen sich per Online-Formular bewerben und ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Keiner dürfe seine Waffe auf die Migranten richten, die sie „festsetzen“. „Reicht, wenn die die Waffen sehen.“ Viele der Freiwilligen, sagt Foley, kämen mit AR-15s - mit halbautomatischen Gewehren. Foley sagt, die Gruppe würde jedes Jahr etwa 100 Migranten an den US-Grenzschutz übergeben.

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Obwohl sie kein Wasser mehr haben, gehen Lazaro und seine Freunde weiter. Irgendwann finden sie eine Viehtränke. Vorsichtig nähert sich Lazaro der Wasserstelle. Dann sieht er den Hund. Das Tier sitzt im Schatten eines Busches. Die Border Patrol hat ihn hier zurückgelassen, in dem Wissen, dass die Migranten irgendwann Wasser brauchen. Um den Hals trägt das Tier ein elektrisches Gerät, vielleicht eine Kamera oder ein Mikrofon. Irgendwo in der Nähe, auf einer Staubpiste, sitzen die Beamten in ihrem klimatisierten Geländewagen und warten, dass der Hund anschlägt.

Lazaro schaut den Hund an. Der Hund schaut zurück

Lazaro schaut den Hund an. Der Hund schaut zurück. Lazaro taucht einen Kanister ins Wasser. Der Hund beobachtet, wie er Wasser schöpft und langsam zurück zu seinen Freunden geht. „Er hat mich gehen lassen“, wird Lazaro später sagen.

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Von der Hügelkuppe aus betrachtet, im Gegenlicht, sehen die rostbraunen Metallstreben des Zauns aus wie ein Riss in der weiten, menschenleeren Ebene. Am Fuße des Hügels, den Rebecca Fowler und die anderen auf ihrer zweiten Wasserwanderung an diesem Tag erklettert haben, endet der Zaun im Nichts. Hier irgendwo in der Nähe, nur wenige Kilometer vom Grenzübergang Sasabe, beginnt das Reservat der Tohono O'odham, die weitgehende Autonomierechte über das Gebiet haben und Grenzbauten ablehnen.

Ein angenehmer Wind streicht an der Flanke des Hügels entlang. Ocotillo-Sträucher recken ihre Finger hoch in den Himmel; graue, dornige Äste, die direkt aus dem Grund wachsen. Der Wind bauscht Fowlers weiße Bluse und greift unter die Krempe ihres Sonnenhuts. Wie sie ihn so festhält, in all dem wehenden Weiß, erinnert sie an Monets „Frau mit Sonnenschirm“, eine französische Dame im amerikanischen Südwesten, seltsam deplatziert.

Rebecca Fowler ist überzeugt, dass die Einwanderungsdebatte zutiefst rassistisch ist

Kurze Erholungspause: Rebecca Fowler von den Tucson Samaritans.
Kurze Erholungspause: Rebecca Fowler von den Tucson Samaritans.

© Anna Sauerbrey/Tsp

Fowler hat spät, mit 38, angefangen zu studieren, als erste in ihrer Familie. Vor ein paar Jahren machte sie ihren Doktor in Critical Culture, Gender and Race Studies an der Washington State University, ihre Dissertation schrieb sie über Haftumstände von Migranten. Sie bekam eine Stelle als Dozentin. Als Forschungsinteressen listet ihre Webseite „mitfühlende Immigration, Biopolitik und Enthumanisierung“ auf, ebenso wie „Theorie und Ethik des Bewusstseins, Globalisierung“. Fowler ist überzeugt, dass der Widerstand gegen die Immigration aus Mexiko und südamerikanischen Ländern rassistisch motiviert ist, dass die amerikanische Einwanderungspolitik eine andere wäre, wären die Menschen, die über die Grenze kommen, nicht „braun“.

Als Fowler 2015 den Kurs „Einführung in Vergleichende Ethnische Studien“ gab, hielt sie ihre Studierenden an, Migranten nicht „Illegale“ zu nennen, sondern von „Menschen oder Migranten ohne Papiere“ zu sprechen. Wer „Illegale“ in Hausarbeiten benutze, teilte sie mit, bekomme Punkte abgezogen. Ein rechter Blog wurde darauf aufmerksam und prangerte Rebecca öffentlich an. Die Geschichte schaffte es bis in die „Washington Post“.

Rebecca sieht angestrengt aus, wenn sie heute davon erzählt. „Es war alles unerträglich. Ich dachte, die Uni würde sich hinter uns stellen, aber nein.“ Die Erfahrung war so verletzend für sie, dass sie zurück nach Tucson zog. Sie kam vorläufig in den Räumen einer befreundeten Hilfsorganisation unter - bis die Probleme mit dem Abwasser und den Klempnern anfingen.

Fowler und die anderen gehen zurück zum Auto. Auf der Sandpiste, die den Zaun entlangführt, sonnt sich eine Klapperschlange.

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Gegen zwei Uhr mittags, nach vier Stunden Fußmarsch, ist Rocko, der Pitbull, völlig fertig. Foley macht kehrt und fährt zurück nach Arivaca. Der Ort ist nicht viel mehr als eine Bar, eine Tankstelle und eine Post entlang einer Landstraße. Das staubige Fleckchen Erde, auf dem er in seinem Wohnwagen lebt, liegt auf einer Hügelkuppe. Zu Hause angekommen setzt Foley sich an den Computer und klopft eine Marlboro aus dem Päckchen. Er raucht sie bis auf den Filter.

Foley stammt aus Kalifornien und lebte lange in Phoenix. Er ließ sich dort zum Mechaniker für Harley-Davidson-Motorräder ausbilden und eröffnete einen eigenen Laden. Später arbeitete er auf dem Bau. Er verdiente 80 000 Dollar im Jahr, hatte ein Haus, war verheiratet, ließ sich scheiden, heiratete wieder.

Dann kam die Immobilien- und Finanzkrise. Foley verlor seinen Job und konnte seinen Kredit nicht mehr bedienen. Das Haus verlor rapide an Wert. „Jede Woche 3000 Dollar!“ Er schaut, als versuche er noch immer, zu verstehen, was eigentlich passiert ist. „Alles ist einfach zusammengebrochen. Also habe ich das Haus verkauft, meine Pensionsfonds aufgelöst und bin hier runtergezogen.“

„Ich sage dir: Bei 85 Prozent des illegalen Grenzverkehrs geht es um Drogen."

Im Wohnwagen ist nicht viel Platz. Foley ist eingezwängt zwischen dem Computer und zwei großen, olivgrünen Plastikcontainern mit Ausrüstung. Er hebt den Deckel und nimmt eine Kamera mit Bewegungssensor heraus. „200 Dollar das Stück“, sagt er. „Ich habe 20 davon da draußen. Ich zeig dir, was die kann.“

Foley klickt und startet ein Video. Im Laufschritt durchquert eine Gruppe junger Migranten den Kamerawinkel. Es regnet stark. Das Wasser spritzt unter ihren Stiefeln. Die Männer tragen Kleidung und Schirmmützen in Flecktarn und wuchtige Rucksäcke. Viele Schlepper rüsten die Migranten mit militärischer Kleidung aus, damit sie in der Wüste nicht so schnell entdeckt werden. „Der erste da“, sagt Foley, „ist der Koyote, er hat das Funkgerät. Die Kartelle haben überall hier auf den Hügeln Späher sitzen, mit Ferngläsern und Nachtsichtgeräten. Sie geben den Koyoten die Position der Grenzschützer durch.“

Foley hat alle Spähposten, die er in Pima County gefunden hat, kartiert. 75 sind es. Er sagt, die Kartelle würden sich oft in der Nähe der Wasserstationen „der Humanitären“ einrichten. „Diese armen Idioten. Lassen Wasser da draußen für die armen Migranten auf der Suche nach einem besseren Leben - und wer trinkt es? Die Späher der Kartelle. Weißt du, was das ist? White guilt - weiße Schuldgefühle.“ Er spuckt die Worte so heftig auf den Boden als sei ihm ein Käfer in den Mund geflogen. „Ich sage dir: Bei 85 Prozent des illegalen Grenzverkehrs geht es um Drogen. Was meinst du, was sonst in den Rucksäcken ist? Ich habe hier noch nie Frauen oder Kinder gesehen.“

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Laut der Statistik des US-Grenzschutzes waren unter den zwischen Oktober 2016 und August 2017 an der amerikanisch-mexikanischen Grenze aufgegriffenen 280 000 Migranten ein Siebtel unbegleitete Minderjährige, rund 70 000 „Familieneinheiten“ wurden identifiziert. Unter den rund 2500 Grenztoten in Arizona, die die Hilfsorganisation Humane Borders seit 2001 zählt, waren mehr als 400 Frauen.

Das Geschäft mit den Drogen und das Geschäft mit den Menschen sind kaum zu trennen

Im Grenzabschnitt Arizona wurden laut Zahlen der Border Patrol 2016 mehr als 55 Tonnen Drogen beschlagnahmt, ein Großteil davon Marihuana, aber auch fast eine Tonne Kokain, 400 Kilogramm Heroin und 2,7 Tonnen Meth.

Das Geschäft mit den Drogen und das Geschäft mit den Menschen ist kaum voneinander zu trennen. Hilfsorganisationen und Migranten berichten, dass Menschen, die den vollen Preis für den Grenzübertritt nicht zahlen können, stattdessen Rucksäcke mit Drogen über die Grenze tragen. Sie werden Maultiere genannt. Ihre Familien bleiben als Pfand der Kartelle in Mexiko und werden nachgeholt, sobald die Fracht ihr Ziel erreicht hat.

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Den Toten finden Lazaro und seine Begleiter am Abend des zweiten Tages. Die Leiche liegt quer über dem trockenen Bachlauf. Jemand hat den Kopf abgeschnitten.

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Der rote Jeep der Samaritans hält am Straßenrand unweit Kilometer 9, Arivaca Road, etwa 15 Kilometer von der Grenze entfernt. Der trockene Bachlauf, dem sie folgen, ist gesäumt mit zerrissener Kleidung, Rucksäcken, leeren Flaschen, Hinterlassenschaften der Migranten, die der Monsun mitgerissen hat. Nach einer Dreiviertelstunde Marsch erreichen sie eine Anhöhe, ein Baum spendet etwas Schatten über dem Wasserlager. Sarah zählt die Kanister. Vier sind leer. Bei dreien sind die Deckel abgeschraubt. Den vierten hat wohl ein Vogel aufgepickt. Bryan und Frank schreiben auf Spanisch und Englisch „Trinkwasser“ auf die neuen Kanister. Dann sitzen die vier im Schatten des Baumes und Fowler erzählt die Geschichte von den zwei Marias.

Einmal, kurz vor Weihnachten vor drei Jahren, waren Fowler und Sarah unterwegs in einem Gebiet unterhalb des Berges Baboquivari. Sie orientierten sich mit einem GPS-Gerät. „Wir sahen drei Silhouetten, eine große und zwei kleine, die sich talwärts auf uns zu bewegten. Wir gingen ihnen entgegen. Es waren ein junger Mann und zwei Mädchen, 15 und 16 Jahre alt, aus Guatemala. Die Mädchen hießen beide Maria. Sie waren auf dem Weg zu ihren Eltern in den Vereinigten Staaten, die dort schon länger arbeiteten. Die drei hatten seit zwei Tagen nichts gegessen und kein Wasser mehr. Ihr Koyote hatte sie zurückgelassen, weil sie zu langsam waren. Wir saßen eine Weile zusammen, aßen und tranken. Es war sehr kalt. Ich trug eine schwarze Samtmütze. Ich nahm sie ab und gab sie einem der Mädchen. Sie legte sie in ihren Schoß und streichelte den weichen Stoff wie eine Katze. Dieses Bild, das werde ich nie vergessen. Beide Mädchen sind bei ihren Familien angekommen.“ Fowler sieht glücklich aus.

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Gegen Abend erreicht Lazaro mit seinen neuen Freunden eine Siedlung der Tohono O'odham im amerikanischen Teil des Reservats. Einen Tag später setzt er seine Reise nach Tucson fort. Ob die Indianer Schlepper waren oder tatsächlich Zufallsbekanntschaften, fragt der Übersetzer? Lazaro sagt, sie seien Freunde. Er chatte noch heute oft mit ihnen.

Während er von seiner Reise erzählt, sitzt er auf einem alten Holzstuhl auf dem Parkplatz der Southern Presbyterian Church in Tucson, trinkt süßen schwarzen Kaffee aus einem Styroporbecher und wartet auf Arbeit. Seit acht Wochen ist er in der Stadt. Die Kirche stellt den Parkplatz als Treffpunkt für Tagelöhner zur Verfügung. Etwa 20 Männer, manche mit, manche ohne Papiere, warten seit dem Morgen. Im Fall einer Razzia würden sie in das Kirchengebäude fliehen. Ein Pick-up-Truck mit Anhänger fährt auf den Parkplatz, darauf Baumschnitt und Motorsensen. Lazaro schaut auf, ob er schon dran ist - die Reihenfolge, nach der die Männer die Jobs bekommen, wurde am Morgen ausgelost. Doch der Mann sucht nach jemand Bestimmtem.

Es war bereits Lazaros zweiter Gang durch die Wüste

Es war bereits Lazaros zweiter Gang durch die Wüste. Vor vier Jahren, mit 15, hat er die Grenze schon einmal überquert. „Meine Eltern konnten es sich nicht mehr leisten, mich zur Schule zu schicken“, erzählt er. „Da haben wir beschlossen, dass ich in die USA gehe.“ Er sei eines von elf Geschwistern. Jemand aus der Familie fuhr ihn mit einem Auto die 2500 Kilometer quer durch Mexiko. Er sollte mit einem Koyoten bis nach Tucson weiterreisen. Doch die Gruppe wurde an einer Straße von der Border Patrol aufgebracht. Lazaro konnte mit dem GPS-Gerät des Koyoten fliehen und schlug sich durch. Er arbeitete als Tagelöhner, verdiente genug, um zu leben und Geld nach Hause zu schicken. Lernte eine Frau kennen, eine Arzthelferin, amerikanisch mit mexikanischen Wurzeln. Dann, im Frühjahr dieses Jahres, wurde er bei einer Verkehrskontrolle entdeckt und abgeschoben. Nur wenige Wochen später, im Juli, machte er sich erneut auf den Weg. Jetzt ist er wieder da.

***

„Es gibt übergeordnetes Recht“, sagt Rebecca Fowler. „Eine Ordnung jenseits von legal und illegal.“

„Wenn du deine Grenze nicht schützt“, sagt Tim Foley, „verlierst du deine Kultur, deine Identität. Angela Merkel ist eine Wahnsinnige! Auf diesem Planeten findet eine Völkerwanderung statt. Alle gehen sie in Nato-Staaten. Welchen besseren Weg gäbe es auch, deinen Feind zu zerstören, als den genetischen? Was die wollen, sind Sklaven. Jemand hat einen Plan!“

„Ich verstehe nicht, warum sie uns nicht wollen“, sagt Lazaro. „Hier gibt es so viel Arbeit und so viele Amerikaner, die nicht arbeiten wollen.“

***

Draußen in der Wüste wird es Abend. Das rötliche Glühen weicht langsam der Dunkelheit. Der Mond ist eine liegende Sichel über der schwarzen Silhouette des Baboquivari. Foley steht auf, um den Hund zu füttern.

Fowler schließt die Augen und gedenkt der Lebenden und der Toten.

Lazaros Telefon klingelt. „Hola, que tal?“ Es ist ein Freund. Er durchquert gerade die Wüste. Diese Nacht will er in Tucson sein.

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