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Milos Zeman.

© AFP

Tschechien: Väterchen auf der Burg

In Prag endet eine Ära: Vaclav Klaus tritt als Staatspräsident ab und muss vor Gericht. Der Linkspopulist Milos Zeman übernimmt das Amt. Der gilt seinen Anhängern als Heilsbringer.

Der Triumph trägt an diesem Morgen das Gesicht von Martin. Die grauen Haare hängen ihm in die Stirn, die Augen hält er gebannt nach vorn gerichtet auf das Absperrband. Dort wird er später auftauchen: Milos Zeman, sein Präsident. „Auf den Moment habe ich lange gewartet. Ich bin so stolz!“ Für einen Tag wird die Prager Burg zum Mittelpunkt einer Zeremonie, wie sie eines böhmischen Königs würdig wäre: Tschechien bekommt einen neuen Präsidenten, und das Land ist im Ausnahmezustand. Hunderte starren auf den Bildschirm, der vor der Burg aufgebaut ist, um zu sehen, was im gotischen Vladislav-Saal geschieht: Eine Tür öffnet sich, und Milos Zeman schreitet vorbei an den mächtigsten Männern seines Landes, die ihm stehend applaudieren. Vor der Burg sind Salutschüsse zu hören. Ihre Donnerschläge mischen sich in den Klang der Hymne, hier draußen fließen Tränen der Rührung. In diesem Moment entlädt sich die Anspannung einer Woche, in der sich die Tschechen nur mit ihren Präsidenten beschäftigt haben: Den scheidenden Vaclav Klaus haben sie vor dem Verfassungsgericht als Hochverräter angeklagt, seinen Nachfolger Zeman feiern sie wie einen unfehlbaren Heilsbringer.

Die Tschechen und ihre Präsidenten – das ist eine Beziehung, die fast monarchische Züge trägt. Die untertänige Verehrung hat ihren Ursprung im Jahr 1918. Damals, gerade war die Tschechoslowakei neu gegründet, wurde Tomas Garrigue Masaryk zum Präsidenten gewählt. Es dauerte nicht lange, bis er wegen seiner Fürsorglichkeit den Beinamen „Taticek“ erhielt, Väterchen. So ist es seither geblieben: In jedem Staatsoberhaupt suchen die Tschechen ein Väterchen und bringen ihm unbedingte Verehrung entgegen. Das war bei Vaclav Havel so, dem Schriftsteller, der durch die Zeitläufte an die Macht getragen wurde; bei Vaclav Klaus war es am Beginn seiner Amtszeit so – und jetzt also bei Milos Zeman.

„Ich will die Stimme der unteren 10 Millionen Tschechen sein“, sagt Zeman in seiner Antrittsrede. Es gibt 10,5 Millionen Tschechen. „Die Privilegierten haben sich ohnehin immer Gehör zu verschaffen gewusst.“ Er selbst unterscheidet zwischen den Privilegierten und den „normalen Bürgern“, wie er sie nennt. In Wirklichkeit sind es aber zwei andere Gruppierungen, die in diesen Tagen ungebremst aufeinanderprallen. Die Jungen, die Gebildeten und die Urbanen hatten genug vom Altpräsidenten Klaus und seiner Selbstherrlichkeit. Von Zeman, der mit seinen 68 Jahren bloß drei Jahre jünger ist als Klaus, befürchten sie die Fortsetzung einer Politik der ideologischen Grabenkämpfe und der unnachgiebigen Positionen. Und dann gibt es die Älteren, die sozial Schwachen und die Wende-Verlierer, die sich gern sonnen im Glanz eines Präsidenten, der wie sie in der sozialistischen Zeit groß geworden ist und den Platz des kleinen Tschechien in der großen Welt verteidigt. Die draußen vor der Burg stehen und jubeln, gehören zu dieser Gruppe.

Die anderen, die Jungen, hatten ihren großen Auftritt einen Tag zuvor. Einer von ihnen ist Vaclav Nemec. Er hatte sich vor der Prager Burg aufgebaut, um sich geschart ein paar hundert Mitstreiter, um das Ende der Ära von Vaclav Klaus zu feiern. Sie haben sein Gesicht auf eine Maske gemalt. In einer eigentümlichen Prozession ziehen sie hinab, von der Burg durch die Fachwerkgassen des alten Prag bis zur Karlsbrücke. Dort nehmen sie die Vaclav-Klaus-Maske, zünden sie an und werfen sie, lichterloh brennend, in die Fluten der Moldau. „Wir wollen sicherstellen“, sagt Nemec, „dass er nicht mehr in die Politik zurückkehrt“. Damit es solche Bilder nicht auch am ersten Amtstag von Milos Zeman gibt, haben seine Mitarbeiter aus dem ganzen Land Zeman-Anhänger nach Prag gekarrt. Sie stehen jetzt vor der Burg in der ersten Reihe. Hunderte sind gekommen, sie tragen Zeman-Schals, haben auf der Brust Zeman-Anstecker und in der Hand Zeman-Fahnen. Die frenetischsten Jubler unter ihnen gehören zur Bürgerrechtspartei, die sich im Untertitel „Zemanovci“ nennt, die Zemänner.

Um zu verstehen, wie Zeman tickt, muss man sich diese Partei anschauen. Er hat sie gegründet, ihr Programm besteht nur aus einem Punkt: Zeman. Früher war er der Vorsitzende der Sozialdemokraten, von 1998 bis 2002 stand er als Premier einer sozialdemokratischen Regierung vor. Dann trennte er sich im Streit von der Partei. Seither sinnt er auf Rache. Nur dieses Motiv, sagen in Prag viele Beobachter, hat ihn all die Jahre angetrieben: Um den Sozialdemokraten Wähler abzujagen, gründete er die linkspopulistische Bürgerrechtspartei. Bei den Parlamentswahlen scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde. Das Präsidentenamt, das jetzt erstmals durch eine Direktwahl besetzt wurde, war seine letzte Chance. Als Zeman seine Kandidatur verkündete, haben ihn viele belächelt. Jetzt ist er es, der lacht.

Das ist bei Zeman durchaus wörtlich zu verstehen: Er kann witzig und unterhaltsam sein, ganze Abende sitzt er mit Freunden in böhmischen Wirtshäusern, lässt sich ein Bier nach dem nächsten bringen und trinkt zu jedem Glas einen Slivovice. Auf dem internationalen Parkett allerdings muss man sich an Zeman und seine Zoten erst gewöhnen. Als er als Premierminister beim Staatsbesuch in Israel empfahl, die Palästinenser genauso zu vertreiben wie man es in Tschechien mit den Sudetendeutschen gemacht habe, hat er selbst das wohl als launigen Spruch gemeint. Außerhalb Tschechiens hat sich fast niemand darüber amüsiert. Zeman gilt trotz seiner Bodenständigkeit auch als ernstzunehmender Denker und ein gerissenener Verhandler. Es ist genau diese Kombination, die bei vielen Tschechen ankommt: Er ist einer aus dem Volk, aus der Kneipe. Und sobald er ins Parlament kommt oder ins Fernsehstudio, zeigt er es den Krawattenträgern da oben und lässt sie demonstrativ auflaufen.

Dem anderen Mann, der im Vladislav-Saal drei Stühle entfernt sitzt von Zeman, ist sichtlich unwohl in seiner Rolle. Vaclav Klaus steht zum ersten Mal im Schatten. Seit er vor 23 Jahren in die Politik eingestiegen ist, hat er sich stets ins Rampenlicht manövriert. So wie bei einem Auftritt in seiner letzten Woche als Präsident: In die Burg hatte er geladen, und als er vor das Mikrofon trat, hielt er in der Hand ein Buch mit goldenem Umschlag. Es ist sein Buch, „Das zehnte Jahr“ heißt es. In jedem Jahr seiner Präsidentschaft hat er ein solches Werk herausgebracht, darin nachzulesen sind seine Reden, seine Briefe, seine Interviews. Vaclav Klaus strickt seit Beginn seiner Amtszeit an seinem Mythos, Bescheidenheit ist ihm fremd. „Das Buch ist eine reiche Dokumentation unserer Zeit“, sagt er mit seiner näselnden Stimme, und dann empfiehlt er den Journalisten, es aufmerksam zu lesen: „Wenn Sie sich anschauen, was der Präsident in diesem Jahr gesagt hat“, sagt er und spricht über sich selbst in der dritten Person, „und das dann vergleichen mit dem medialen Bild vom Präsidenten, dann finden Sie darin eine große Diskrepanz“. Es steckt nicht mehr die alte Angriffslust in diesen Worten; es klingt fast wie eine Rechtfertigung. Denn in den vergangenen Wochen ist es einsam geworden um ihn.

Lange war Klaus der beliebteste Politiker des Landes; daran konnten weder sein Stänkern gegen die EU noch seine pauschale Kritik am Umweltschutz als vermeintlich „linker Ideologie“ oder seine Ausfälle gegen Homosexuelle etwas ändern. Sein tiefer Fall aus den Höhen der Popularität lässt sich auf den 1. Januar 2013 datieren: An diesem Tag verkündete er eine Massen-Amnestie. Rund 7000 Strafgefangene kamen frei, Dutzende Gerichtsverfahren wurden eingestellt – unter den Begnadigten waren viele, die das Land als korrupte Geschäftemacher jahrelang ausgeplündert haben. Auf diese Amnestie stützen sich nun fast drei Dutzend tschechische Senatoren, die Klaus wegen Hochverrats vor das Verfassungsgericht gebracht haben – er habe das Land schwer geschädigt.

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