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Türkei: Armee wollte Regierung destabilisieren

Gegen den türkischen General werden Rücktrittsforderungen laut. Der „Destabilisierungsplan“ hat nicht die Regierung ins Wanken gebracht, sondern die bisher unangreifbare politische Position der türkischen Armee.

Wenn in der Türkei der Generalstabschef etwas sagen will, dann gehen die Fernsehsender gleich zu Dutzenden live auf Sendung. Nach mehreren Staatsstreichen in den vergangenen Jahrzehnten ist jedes Wort aus dem Mund des ranghöchsten Soldaten im Land eine potenziell wichtige Nachricht. So war es auch Ende Juni, als Armee-Chef Ilker Basbug den Vorwurf zurückwies, die Armee habe insgeheim einen Plan zur Destabilisierung der Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan ausgearbeitet. Nichts als „ein Stück Papier“ sei der in der Presse aufgetauchte Plan, spottete Basbug. Nun stellt sich heraus, dass das „Stück Papier“ offenbar doch echt ist.

Der „Aktionsplan zur Bekämpfung des islamischen Extremismus“ sah die Unterwanderung von Erdogans religiös-konservativer Regierungspartei AKP vor. Unterzeichnet war das Dokument von einem Oberst namens Dursun Cicek aus Basbugs Generalstab. Bisher war nur eine Kopie des im April aufgestellten Plans bekannt, was der Armee die Möglichkeit gab, von einer Fälschung zu sprechen.

Doch nun schickte ein Offizier im Generalstab das Original des Plans an Staatsanwälte in Istanbul, die einen mutmaßlichen Putschversuch von Nationalisten sowie aktiven und pensionierten Militärs gegen die Erdogan-Regierung untersuchen. Eine Unterschriftenanalyse ergab, dass der Destabilisierungsplan tatsächlich von Oberst Cicek unterzeichnet wurde.

Der anonyme Informant aus dem Generalstab teilte der Justiz auch mit, General Hasan Igsiz, seinerzeit die Nummer zwei der Armee, habe den Befehl zur Ausarbeitung des Plans gegeben. Im Juni seien im Hauptquartier der Armee zahlreiche Computer-Festplatten gelöscht worden, um alle Spuren zu verwischen. Schon nach Erdogans jüngstem Wahlsieg vor zwei Jahren, so der Informant weiter, habe die Armee in einem Dokument ihre Sorge über den Siegeszug der angeblichen Islamisten ausgedrückt.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Armee die Erdogan-Partei AKP als Islamisten-Truppe betrachtet. Doch bisher betonte Basbug stets, er halte sich an die demokratischen Spielregeln. Nun steht er als Armeechef da, der entweder die Öffentlichkeit angelogen hat oder nicht weiß, was in seinem eigenen Generalstab getrieben wird.

In Ankara geht ein Mythos zu Bruch. Das Ansehen der Militärs ist ramponiert; ihre Glaubwürdigkeit hat stark gelitten. Selbst Armee-Anhänger in den Medien sind entsetzt. Die Militärs könnten sicher sein, „dass sogar Leute wie ich, die ihr ganzes Leben lang die Armee als ihren Augapfel betrachteten, sich jetzt einige Fragen stellen“, schrieb „Hürriyet“-Chefredakteur Ertugrul Özkök. Basbug selbst sieht sich – unerhört für die Türkei – Rücktrittsforderungen gegenüber.

Der Armee-Chef ordnete eine neue interne Untersuchung an, doch was er darüber hinaus tun will, war am Mittwoch noch unklar. Fest steht schon jetzt, dass sich die politischen Kräfteverhältnisse in Ankara zugunsten der Regierung verschieben. Der „Destabilisierungsplan“ hat nicht die Regierung ins Wanken gebracht, sondern die bisher unangreifbare politische Position der türkischen Armee. 

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