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„Wenn ihr die Türkei nicht wollt, dann sagt das auch, haltet uns nicht hin“, warf Erdogan der EU vor.

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Türkei-Beitritt: Neue Perspektive

Bisher hat die CDU der Türkei statt eines EU-Beitritts eine "maximale Partnerschaft" in Aussicht gestellt. Durch Wulffs Islam-Äußerungen sehen sich die Befürworter eines Beitritts bestätigt.

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Berlin - „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“, hatte Bundespräsident Christian Wulff (CDU) zum Tag der Einheit gesagt und kurz zuvor auch auf „ergebnisoffene Verhandlungen“ zum Beitritt der Türkei zur EU hingewiesen. Wulff wird in zehn Tagen nach Ankara reisen, am Wochenende besucht der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan Berlin. All das wirft die Frage auf: Wie zeitgemäß ist noch die Haltung weiter Kreise der Union, allen voran der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), zur Annäherung der EU und der Türkei und die Haltung, Ankara maximal eine „privilegierte Partnerschaft“ in Aussicht zu stellen?

Der FDP-Außenpolitiker Wolfgang Gerhardt sieht die Entwicklung ganz klar: „Die Verhandlungen mit der Türkei werden zu einer Mitgliedschaft in der EU führen“, sagt er. Wenn das Land am Bosporus die Voraussetzungen erfüllt, gebe es dazu keine Alternative. Unter anderem deshalb habe seine Partei auch in den Koalitionsverhandlungen darauf bestanden, dass der entsprechende Passus, den zuvor SPD und Union verabredet hatten („ergebnisoffene Verhandlungen“), in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag übernommen werde.

Wulffs Aussagen zum Islam in Deutschland stießen am Donnerstag auch bei SPD-Chef Sigmar Gabriel und bei SPD-Altkanzler Gerhard Schröder auf ein positives Echo. Der SPD-Politiker Gernot Erler, Vizevorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sieht in Wulffs Äußerungen eine deutliche Aufforderung an die CDU, die EU-Türkei-Frage zu überdenken. „Die Einschätzungen des Bundespräsidenten lassen sich mit den Vorstellungen der Kanzlerin über eine privilegierte Partnerschaft zwischen EU und der Türkei nicht in Einklang bringen“, sagte Erler dem Tagesspiegel. „Da bin ich auf der Seite des Bundespräsidenten.“ Erler forderte die Kanzlerin auf: „Frau Merkel muss erkennen, dass eine Beitrittsperspektive der Türkei zur EU im Interesse der EU und Deutschlands ist. Das Festhalten an einer privilegierten Partnerschaft schadet Deutschland.“

Unterdessen plädierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum angesichts der festgefahrenen Beitrittsgespräche zwischen der EU und Ankara für eine „Denkpause“ in den Verhandlungen, um auf diesem Wege dem Beitrittsprozess neuen Schwung zu geben. Eine solche „Denkpause“ könne zu vertraulichen Gesprächen genutzt werden, sagte der Vorsitzende des EU-Ausschusses des Bundestages. Krichbaum kritisierte die Blockadehaltung des EU-Mitgliedes Zypern, das ein Veto gegen den Direkthandel zwischen dem türkischen Teil der Mittelmeerinsel und der EU einlegt. Die Türkei weigert sich wiederum, Schiffe des EU-Mitgliedes Zypern in ihren Häfen einlaufen zu lassen. Nach den Angaben von Diplomaten könnte es wegen des Zypernstreits zum Ende des Jahres zu einem Stillstand in den Gesprächen kommen. Nach der Ansicht des Europapolitikers Krichbaum wäre das „fatal“. Unter den insgesamt 35 Verhandlungs-„Kapiteln“ bei den Gesprächen zwischen der EU und Ankara sind allein acht wegen des Streits zwischen der Türkei und Zypern blockiert. Fünf Jahre nach Beginn der Gespräche ist das Feld für die Verhandlungen damit sehr begrenzt.

Der türkische Regierungschef Erdogan warf der EU am Donnerstag vor, seinem Land eine klare Perspektive für einen Beitritt zu verweigern. „Wenn ihr die Türkei nicht wollt, dann sagt das auch“, sagte er, „haltet uns nicht hin.“ Erdogan wird an diesem Freitag in Berlin zum Fußballspiel Deutschland – Türkei, das auch der Bundespräsident besuchen will, erwartet. Am Samstag wird Erdogan die Kanzlerin zu politischen Gesprächen treffen.

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