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Türkei - Deutschland: Präsident Abdullah Gül - Werbeträger in der Fremde

Ankara unterstützt jetzt die Integration von Türken im Ausland – auch das ist ein Schritt hin zu Europa.

Zuerst Ministerpräsident, dann Außenminister und seit 2007 Präsident: Abdullah Gül ist neben Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan seit fast einem Jahrzehnt der entscheidende Mann in der Politik der Türkei. Wenn Gül nun die Türken in der Bundesrepublik aufruft, möglichst gut Deutsch zu lernen, ist das kein Alleingang und auch kein Ausrutscher: Der Appell ist Ausdruck einer neuen türkischen Politik, die von Erdogan und Gül eingeleitet wurde.

Gül sagte der „Süddeutschen Zeitung“, seine Landsleute in Deutschland sollten Teil der Gesellschaft werden. Sie sollten Deutsch lernen, „und zwar fließend und ohne Akzent“. Die Integration müsse schon im Kindergarten beginnen, bereits dort müssten türkische Kinder Deutsch lernen. Gelassen reagierte Gül auf die Debatte über zunehmende antiislamische Stimmungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern. Antisemitismus, Islamophobie oder Rassismus seien wie eine Krankheit, die von Zeit zu Zeit ausbreche, sagte er. Dies gelte unabhängig von Bildung oder Wohlstand einer Gesellschaft. Als „sehr gelungenes Beispiel für Integration“ nannte Gül den Fußballer Mesut Özil, der in der Türkei wegen seines Einsatzes in der deutschen Nationalelf kritisiert worden war. Gül betonte, wenn Özil ihn gefragt hätte, „hätte ich ihn ermutigt, im deutschen Team zu spielen“.

Noch in den 1990er Jahren sahen türkische Politiker die Auslandstürken mehr oder weniger als fünfte Kolonne Ankaras. So waren eindeutige Wahlempfehlungen an türkischstämmige Wähler in der Bundesrepublik durchaus üblich. Eine Stimmabgabe für die Unionsparteien etwa galt wegen des Widerstandes der CDU/CSU gegen das EU-Streben der Türkei als unpatriotisch.

Damals ging Ankara von derselben unausgesprochenen Prämisse aus wie viele Politiker in Deutschland: Irgendwann, so die Erwartung, würden die Türken wieder nach Anatolien zurückkehren. Eine Integration der Migranten in die deutsche Gesellschaft war von der türkischen Politik ebenso wenig vorgesehen wie von der deutschen.

Das änderte sich in der Türkei erst ab November 2002, als Erdogans AKP an die Regierung kam und Gül als erster AKP-Ministerpräsident europapolitisch aufs Gaspedal trat. Im Jahr 2005 folgte die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen. Doch Erdogan und seine Leute stießen in der EU auf ein hartnäckig schlechtes Image ihres Landes, und sie erkannten, dass dieses Image zum Teil auf das unvorteilhafte Bild zurückging, das die Türken in anderen Ländern abgaben.

Seit einigen Jahren fährt Ankara deshalb eine neue Linie. Die erfolgreiche Integration der Türken in der neuen Heimat wird nicht als Verrat, sondern als Pluspunkt für die Türkei gesehen. Dem neuen Idealbild entsprechen Sportler wie Özil oder Künstler wie Fatih Akin – und nicht der Türke, der sich in deutschen Großstädten in Ghettos verbarrikadiert und nur an die Rückkehr nach Anatolien denkt.

Sobald Türken in Europa erst einmal als Musterbürger wahrgenommen werden, wird die Überzeugungsarbeit Ankaras in der EU sehr viel einfacher, ist die türkische Regierung überzeugt. Deshalb haben Politiker wie Gül auch kein Problem mit der Entscheidung Özils für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Aus ihrer Sicht wirbt der Deutsch-Türke mit seinen Leistungen nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Türkei.

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