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Türkei: Erdogan kommt knapp davon

Die AKP, die Partei des türkischen Regierungschefs, wird nicht verboten – ihr werden aber Gelder gestrichen. Das dürfte Erdogan aber kaum beunruhigen.

Als der türkische Verfassungsgerichtspräsident Hasim Kilic am Mittwoch mit strenger Miene den Sitzungssaal seines Gerichts in Ankara betrat, rutschte so manchem Parteifreund von Premier Recep Tayyip Erdogan das Herz in die Hose. Das Gericht werde die Regierungspartei AKP verbieten, wetterte der Abgeordnete Seref Malkoc nur wenige Minuten vor der Stellungnahme von Kilic. Wie Malkoc hatten die meisten Beobachter in Ankara eine solche Entscheidung erwartet. Tatsächlich verhieß Kilics Eingangsstatement für die AKP zunächst nichts Gutes. Der Gerichtspräsident machte der Erdogan-Partei schwere Vorwürfe. Doch dann sprach Kilic den wichtigsten Satz des Tages: „Die AK-Partei wird nicht verboten.“

Sechs von elf Richtern hatten zwar für ein Verbot gestimmt, das war nur einer weniger, als für eine Auflösung der größten Partei des Landes notwendig gewesen wäre. Die Meinung der Richter, die sich für eine Kürzung staatlicher Finanzbeihilfen für die AKP und eine scharfe Verwarnung der Regierungspartei ausgesprochen hatten, setzte sich am Ende durch. Kilic selbst stimmte als einziger Richter dafür, den Verbotsantrag der Generalstaatsanwaltschaft rundweg abzulehnen.

Weniger Geld vom Staat – das dürfte Erdogan kaum beunruhigen. Die AKP verfügt über viele Gönner mit tiefen Taschen und kann auch ohne kräftige Zuschüsse aus der Staatskasse ihre Wahlkämpfe organisieren. Politisch bedeutsamer ist die von Kilic angekündigte Verwarnung der Regierungspartei, die in der schriftlichen Urteilsbegründung ausformuliert werden soll. Auch wenn die AKP nicht verboten worden sei, habe das Gericht doch festgestellt, dass Erdogans Partei ein „Brennpunkt islamistischer Aktivitäten“ sei, sagte der Oppositionsabgeordnete und AKP-Gegner Atilla Kart. Ein strahlender Sieg ist die Entscheidung für Erdogan also nicht.

Kein Verfassungsrichter sei erfreut über Parteiverbote, sagte Kilic. Doch solche Prozesse seien unausweichlich, wenn sich die Parteien bei wichtigen Themen nicht einigen könnten, warnte der Verfassungsgerichtspräsident, der selbst als AKP-nah gilt. Das war ein deutlicher Hinweis auf den von Erdogan durchgesetzten Kopftuchbeschluss des türkischen Parlamentes im Februar: Damals verzichtete die AKP darauf, sich mit ihren kemalistischen Gegnern im Parlament zu einigen, und suchte sich eine kleinere nationalistische Partei als Bundesgenossen. Das Verfassungsgericht hatte den Beschluss anschließend kassiert. Solche Alleingänge wollen die Verfassungsrichter nicht noch einmal sehen. Konkret bedeutet das, dass sich die AKP um einen breiten gesellschaftlichen Konsens bemühen muss, wenn sie die Kopftuchfrage lösen will. Tut sie das nicht, könnte sie bald wieder vor den Richtern landen. Das gilt auch für andere wichtige Fragen wie etwa die geplante neue Verfassung.

Im Machtkampf zwischen Erdogan und den Kemalisten, die sich als Bewahrer des säkulären Erbes von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk betrachten und die den Premier für einen Islamisten halten, gönnte das Gericht keiner der beiden Seiten einen Knock-Out. Das mehrheitlich mit Kemalisten besetzte Gericht vermied den Eindruck, die AKP kaltstellen zu wollen, weil sie an der Wahlurne bisher nicht zu besiegen war. Mit seiner Entscheidung bewahrte das Gericht das Land außerdem vor Monaten der Instabilität, denn für den Fall eines AKP-Verbotes war mit vorgezogenen Neuwahlen gerechnet worden.

Entsprechend positiv fielen die ersten Reaktionen aus. Von einem Beitrag zum Abbau der politischen Spannungen im Land sprach Kulturminister Ertugrul Günay. Die kemalistische Oppositionspartei CHP erklärte, vom Standpunkt der Demokratie aus betrachtet sei das Urteil zu begrüßen. Auch die Europäische Union und die Bundesregierung in Berlin begrüßten das Urteil.

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