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Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan steht am Scheideweg: Will seinen Weg als Reformer fortsetzten oder die Türkei despotisch regieren?

© AFP

Türkei: Erdogan muss wieder Reformer werden, um die Türkei zu befrieden

Erdogan ist eine zwiespältige Persönlichkeit. Mit harter Hand unterdrückte er die Proteste im Gezi-Park in Istanbul, doch einst verhalf der 59-jährige der Türkei zum Aufschwung. Findet Erdogan seinen Kurs als Refomer wieder, um sein Lebenswerk zu retten?

Als „Meister“ lässt sich Recep Tayyip Erdogan gerne von seinen Anhängern feiern. Tatsächlich hat der türkische Ministerpräsident in seinen zehn Jahren an der Macht viel für das Land getan und sich sich selbst zum erfolgreichsten Politiker der Türkei seit der Einführung des Mehrparteiensytems vor mehr als einem halben Jahrhundert gemacht. Doch nun steht der „Meister“ vor einer ungewohnten Aufgabe. Erdogan muss wieder zum Reformer werden, wenn er die Türkei befrieden will.

Es brennt gleich an mehreren Stellen. Die Proteste gegen Erdogans autoritären Führungsstil flammen wieder auf, erneut kam ein Demonstrant zu Tode, erneut lieferten sich Demonstranten und Polizei in mehreren Städten schwere Straßenschlachten. Der 59-jährige reagiert weiter mit Härte, weil er in den Demonstranten nicht enttäuschte Bürger und Wähler sieht, die er überzeugen kann, sondern Gegner, die er besiegen muss.

Gleichzeitig spitzt sich der Kurdenkonflikt wieder zu. Die Kurdenrebellen von der PKK haben ihren Abzug aus der Türkei gestoppt und drohen mit der Rückkehr zur Gewalt. Erdogan, der sich von der Lösung des seit fast 30 Jahren andauernden Konflikts viele kurdische Wählerstimmen und einen Platz in den Geschichtsbüchern verspricht, kündigt seit Wochen die Vorlage von Lösungen an, mit denen die Regierung den Kurden entgegen kommen will. Geschehen ist bisher aber nichts. An beiden Fronten – bei den regierungsfeindlichen Demonstrationen wie im Kurdenkonflikt - wäre jetzt der Reformer Erdogan gefragt, jener Regierungschef, der die Gesetze seines Landes gegen viele Widerstände so weit liberalisierte, dass die Türkei mit der EU über eine Mitgliedschaft reden konnte. Aber gibt es diesen Reformer Erdogan noch?

Viele türkische Intellektuelle, die Erdogan lange unterstützten, weil er den undemokratischen Führungsanspruch der Militärs beendete, haben sich von dem Ministerpräsidenten abgewandt. Sie sehen in Erdogan einen Konservativen mit autoritären Tendenzen, von dem in Sachen Demokratisierung nicht mehr viel zu erwarten ist. Die Intoleranz des Premiers gegenüber Andersdenkenden und der wachsende Druck auf die Medien, der von Erdogan vielleicht nicht betrieben, zumindest aber geduldet wird, gelten ihnen als Beweise. Bisher sieht Erdogan keinen Grund für eine Kursänderung. Umfragen sehen seine Partei AKP weit vor der politischen Konkurrenz.

Für die Kommunalwahlen im März kommenden Jahres zeichnet sich ein neuer AKP-Sieg ab. Aber dieser neue Sieg ist für Erdogan nicht das einzige Ziel. Nur wenige Monate nach den Kommunalwahlen steht die Direktwahl des Staatspräsidenten an, die Erdogan gewinnen will. Selbst innerhalb der AKP-Anhängerschaft gibt es Zweifel daran, ob Erdogan ein guter Präsident mit weitreichenden Vollmachten wäre.

Erdogan ist ein politischer Fighter, der für sein Leben gern mit dem politischen Gegner rauft, ein unschlagbarer Wahlkämpfer. Aber als Präsident müsste er auch für jene da sein, die sich vom Staat ungerecht behandelt fühlen, also auch für die regierungskritischen Demonstranten und die Kurden in der Türkei. Er müsste versöhnen, nicht polarisieren. Schon jetzt ist das Misstrauen in Teilen der Gesellschaft gegen ihn sehr groß. Selbst wenn Erdogan dank der Stärke der AKP bei der Präsidentenwahl mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, wird er nie Präsident aller Türken sein, wenn er so weitermacht.

Will er so weitermachen? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Denn eines hat Erdogan in der Türkei nicht verändert: Strukturen und Institutionen sind zweitrangig, entscheidend ist der politische Wille des Ministerpräsidenten, der auch als Vorsitzender der Regierungspartei viele politische Karrieren befördern oder beenden kann. Erdogan kann in seinem Land mehr Dinge direkt gestalten, als es die meisten seiner Kollegen in Europa in ihren Staaten können. Erdogan könnte eine neue Polizeitaktik durchsetzen, er könnte den Kurden ernsthafte politische Angebote machen, er könnte den Rechtsstaat und die Pressefreiheit stärken.

Der „Meister“ ist mächtiger als seine Vorgänger im Amt – er hat auch die Macht, sein Lebenswerk selbst zu retten oder zu zerstören.

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