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Recep Tayyip Erdogan.

© Reuters

Türkei: Erdogans Wahltriumph: Historischer Sieg mit Abstrichen

Bei den Parlamentswahlen in der Türkei hat die AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ihren bisher größten Wahlerfolg eingefahren - ohne allerdings die angestrebte Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament zu erreichen.

Mit gut der Hälfte aller Wählerstimmen erhielt die islamisch-konservative AKP am Sonntag ein machtvolles neues Regierungsmandat, aber keinen Freibrief für einen Alleingang bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung für das Land.

Nach Auszählung von 95 Prozent aller Stimmen brachte es die AKP auf gut 50 Prozent der Wählerstimmen und kann weiterhin alleine regieren. In der Opposition bleiben die kemalistische CHP mit knapp 26 Prozent und die nationalistische MHP mit 13 Prozent sowie die kurdische BDP, deren Kandidaten als nominell Unabhängige die Zehn-Prozent-Hürde umgehen und erneut eine eigene Fraktion im türkischen Parlament stellen können. Zusammen bringen es die Oppositionsparteien aber auf genug Sitze, um der AKP sowohl die verfassungsändernde Zwei-Drittel-Mehrheit zu verwehren als auch die Drei-Fünftel-Mehrheit, mit der die Regierung sich per Referendum direkt ans Volk wenden kann.

Für die AKP bedeutete das Ergebnis von 50 Prozent eine weitere Steigerung, nachdem sie 2002 erstmals mit 34 Prozent an die Regierung gewählt und 2007 mit knapp 47 Prozent im Amt bestätigt worden war. Die AKP ist damit die erste Partei seit einem halben Jahrhundert, die dreimal hintereinander an die Regierung gewählt wurde. Die Regierungszeit der letzten Partei, der dies gelang, der Demokratischen Partei von Ministerpräsident Adnan Menderes, wurde 1960 durch einen Militärputsch beendet.

Auch für die CHP bedeutete das Wahlergebnis von 26 Prozent eine deutliche Verbesserung von ihren 19 Prozent bei der vorletzten und 21 Prozent bei der letzten Wahl. Offen blieb aber, ob es reichen würde, um dem neuen Parteivorsitzenden Kemal Kilicdaroglu den notwendigen Rückhalt für seinen Reformkurs zu verschaffen. Das selbst gesteckte Ziel von 30 Prozent verfehlte die Partei jedenfalls deutlich.

Aufatmen konnte dagegen die nationalistische MHP, die kurz vor der Wahl durch eine Serie von Sex-Skandalen und Erpressungen in Bedrängnis geraten war. Mit ihren 13 Prozent verlor sie zwar leicht gegenüber ihren 14 Prozent von 2007, bleibt jedoch deutlich über der Zehn-Prozent-Hürde und damit auch im Parlament. Ihr Wiedereinzug ins Parlament ist ausschlaggebend dafür, dass der AKP die verfassungsändernde Mehrheit verwehrt bleibt.

Die verfassungsändernde Mehrheit war deshalb ein wichtiges Thema im Wahlkampf, weil die Türkei sich eine neue Verfassung geben will, um die vom Militär diktierte und vielfach geflickte und veränderte Verfassung von 1982 durch ein modernes und demokratisches Grundgesetz abzulösen. Obwohl sich alle Parteien über die Notwendigkeit einer neuen Verfassung einig sind, war es bisher nicht einmal ansatzweise gelungen, einen Konsens über den Inhalt herzustellen. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit wäre vor diesem Hintergrund auf ein Mandat für die AKP hinausgelaufen, die neue Verfassung alleine zu verabschieden. Das Wahlergebnis vom Sonntag bedeutet, dass nun die Suche nach einem Konsens beginnen muss.

Trotz des großen Wahlerfolgs sei Erdogans Taktik am Ende nicht aufgegangen, analysierte der angesehene Kolumnist Hasan Cemal im türkischen Fernsehen: Der Ministerpräsident habe sich im Wahlkampf an den rechten Rand begeben, um den Nationalisten die Stimmen abzugraben, sie unter die Zehn-Prozent-Hürde zu drücken und sich dadurch die Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze zu sichern. Dafür habe er in der Kurdenfrage eine harte Haltung bezogen, die kurdische und liberale Wähler verprellt, aber letzlich keine MHP-Wähler angezogen habe.

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