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Türkei: Mann schneidet seiner Frau Ohren und Nase ab

Selbst in sozial rückständigen Teilen der Türkei wagen es immer mehr Frauen, die Polizei zu rufen, wenn sie von ihren Männern verprügelt werden – doch dann versagt der Staat bei seiner Aufgabe, die Frauen vor Racheakten zu schützen.

Aysun K. ist eine bemerkenswert mutige Frau. Die 27-jährige lebt in der südostanatolischen Provinz Bingöl, einer armen und sozial sehr konservativen Gegend der Türkei, in der viele Frauen von ihren Männern geschlagen werden, ohne dass die Täter eine Strafe zu befürchten hätten – denn die meisten Opfer schweigen. Doch Ende vergangenen Jahres hatte Aysun K. genug. Sie berichtete der Polizei über die ständigen Prügel, die sie von ihrem 35-jährigen Ehemann Giyasettin erhielt, einem Metzger. Die Behörden steckten den Mann für drei Monate ins Gefängnis. Aber als er am vergangenen Wochenende entlassen wurde, rächte er sich brutal an seiner Frau: Er schnitt der Hochschwangeren beide Ohren und die Nase ab.

„Wegen dir habe ich im Knast gesessen“, soll Giyasettin K. seiner Frau gesagt haben, als er sie nach seiner Haftentlassung in ein Auto steckte und mit ihr in ein unbewohntes Gebiet fuhr. Laut Presseberichten steckte er Aysuns Kopf immer wieder unter das eiskalte Wasser eines Baches, um sie zu quälen. Dann schnitt er ihr Nase und Ohren ab, warf die Organe in den Bachlauf und fuhr seine Frau zum nächsten Krankenhaus, wo er sie absetzte. Passanten merkten sich das Nummernschild des Wagens, aus dem die blutüberströmte Frau taumelte; Giyasettin K. wurde wurde wenig später festgenommen.

Unterdessen kümmerten sich die Ärzte um Aysun. Per Kaiserschnitt brachten sie ein gesundes Mädchen zur Welt; die drei anderen Kinder des Ehepaares sind behindert. Dann machten sie sich daran, das entstellte Gesicht des Opfers wieder herzustellen. Soldaten der Gendarmerie fanden am Tatort die beiden Ohren und brachten sie in Eisbeuteln zur Klinik, wo sie wieder angenäht wurden. Die Nase wurde nicht gefunden und soll deshalb aus Gewebeteilen der Patientin nachgebildet werden.

Das Verbrechen an Aysun K. ist der zweite Fall extremer häuslicher Gewalt in Ostanatolien, der in jüngster Zeit bekannt wurde: Ein 16-jähriges Mädchen war von ihrer Familie lebendig begraben worden. Auch sie hatte sich bei der Polizei über Misshandlungen beschwert.

Die beiden Fälle stehen für einen Erfolg und das gleichzeitige Scheitern der türkischen Frauenpolitik, sagte Nebahat Akkoc, die Leiterin des Frauenzentrums KAMER im südostanatolischen Diyarbakir, am Dienstag unserer Zeitung: Selbst in sozial rückständigen Teilen der Türkei wagen es immer mehr Frauen, die Polizei zu rufen, wenn sie von ihren Männern verprügelt werden – doch dann versagt der Staat bei seiner Aufgabe, die Frauen vor Racheakten zu schützen.

Mit Ehrenverbrechen, bei denen Frauen wegen eines angeblich unmoralischen Verhaltens von ihren Familien bestraft oder getötet werden, hätten solche Fälle nichts zu tun, sagte Akkoc. Häusliche Gewalt ist ein noch viel größeres Problem als Ehrenmorde: Laut wissenschaftlichen Studien wird jede dritte Frau in der Türkei Opfer von Gewalt, wobei Prügel von den Ehemännern selbst aus nichtigen Anlässen die häufigste Form ist.

Immer mehr Opfer wenden sich an Frauenzentren, an die Polizei oder an die Sozialbehörden, wie Akkoc beobachtet hat. „Die Frauen nehmen die Gewalt nicht mehr hin.“ Doch der Staat tut zu wenig, um den Frauen zu helfen. Insbesondere im kurdischen Südosten des Landes, wo viele Frauen wegen fehlender Schulbildung nicht einmal Türkisch sprechen, wissen zahlreiche Betroffene nicht, dass sie ein Recht auf Schutz vor prügelnden Ehemännern haben.

Außerdem gibt es nicht genug Frauenhäuser, die Opfern von Gewalt zumindest vorübergehend eine neue Heimat bieten können. Viele Frauen in der türkischen Provinz haben keinerlei Berufsausbildung und sind wirtschaftlich völlig von ihren Ehemännern abhängig. Frauenrechtlerinnen haben zudem beobachtet, dass Polizeibeamte häufig viel Verständnis für die Ehemänner haben und die Frauen nach einer Beschwerde zu ihren Familien zurückschicken, wo sie dann erst recht misshandelt werden.

Ohne wirksamen Schutz der Behörden nehmen einige Frauen das Recht in die eigene Hand. Im ostanatolischen Van wurde eine Hausfrau vor einigen Tagen von ihrem Mann schwer verprügelt, weil sie trotz knapper Haushaltskasse einen Kuchen für ihre acht Kinder gebacken hatte. Die Frau wehrte sich – und erstach ihren Mann mit einem Küchenmesser. Dann rief sie die Polizei.

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