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© SPA

Türkei: Militär plant den Putsch – na und?

Die türkische Armee bestätigt, in der Offiziersausbildung Szenarien für den Sturz der Regierung einzusetzen. Folgen haben die Putschpläne für das Militär aber wohl keine.

General Cetin Dogan und seine Leute hatten an alles gedacht. In einem Plan namens „Vorschlaghammer“ ließ der ehemalige Kommandant des Ersten Armeekorps der türkischen Streitkräfte im Jahr 2003 durchspielen, was so alles zu tun sei bei einem Putsch gegen die verhasste Regierung Erdogan in Ankara. Die Inhaftierung von bis zu 200 000 „inneren Feinden“ in großen Fußballstadien gehörte dazu, die Bildung einer neuen Regierung aus armeetreuen Persönlichkeiten ebenfalls.

Wie das richtige gesellschaftliche Klima für einen Putsch geschaffen werden könne, überlegte sich Dogan gleich mit. Zu seinen Vorschlägen gehörten ein Bombenanschlag auf eine große Moschee in Istanbul und neue Spannungen mit Griechenland. Ziel des Putsches sei es, „keinen einzigen Islamisten“ mehr in wichtigen Positionen zu lassen. Dahinter steckt die Ansicht der Armee, wonach die – demokratisch gewählte – Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine Islamistentruppe ist, die es notfalls mit einem Putsch zu stoppen gilt.

Der „Vorschlaghammer“ kam in dieser Woche durch die Zeitung „Taraf“ ans Tageslicht. Sie hatte bereits andere Putschpläne der Militärs enthüllt. Bisher tat die Armee alles als Versuch ab, das Ansehen der Militärs zu beschmutzen. Nicht so beim „Vorschlaghammer“. Es handele sich um ein „Szenario“, das bis zum Jahr 2006 bei Seminaren der Offiziersausbildung benutzt worden sei, bestätigte der Generalstab offiziell. An einen wirklichen Putsch denke natürlich niemand.

Wirklich nicht? Die Grundfrage, warum die Armee eines Landes glaubt, zur Vorbereitung auf Ausnahmesituationen gehöre die Planung eines Staatsstreiches, ließ der Generalstab unbeantwortet. Auch enthalten die 5000 Seiten des „Vorschlaghammers“ so viele Einzelheiten für die Vorbereitung und Ausführung eines Staatsstreichs sowie die Neuordnung des Landes hinterher, dass erhebliche Zweifel an der Darstellung des Generalstabs bestehen, alles sei nur ein Spiel gewesen. „Taraf“ hatte die Dokumente von einem Ex-Offizier erhalten.

Für die Armee spielten Rechtsstaat und Demokratie untergeordnete Rollen, kritisierte Kolumnist Taha Akyol in der Zeitung „Milliyet“. Wichtig sei den Generälen allein ihr eigenes Verständnis von Nation. Solange sich das nicht ändert, wird sich die Armee immer wieder das Recht nehmen, im Namen der „Nation“ zu putschen. Seit 1960 hat sie vier Regierungen von der Macht verdrängt.

Viel zu befürchten haben die Militärs wohl auch in Zukunft nicht. Das Verfassungsgericht hob in dieser Woche ein Gesetz auf, mit dem die Kontrolle der zivilen Justiz über die Armee gestärkt worden war. Die Entscheidung kommt wie gerufen für die Armee. Ab sofort sind viele illegale Aktivitäten von Soldaten wieder allein Sache der Militärgerichtsbarkeit – und von der sind kaum harte Strafen für Putschisten zu erwarten.

Das Verhalten von Armee und Verfassungsgericht versetzt den Europa-Hoffnungen der Türkei einen weiteren schweren Schlag. Alle laufenden Verfahren gegen Soldaten müssten nun den Militärs zugeleitet werden, forderte ein Armeesprecher am Freitag. Umstritten ist, ob dies auch den Prozess gegen die rechtsgerichtete Organisation Ergenekon betrifft, in dem sich Dutzende Militärs wegen Putschvorbereitungen verantworten müssen. Die EU sieht das Verfahren als Testfall für die türkische Demokratie. Doch vielleicht verschwindet die Akte Ergenekon bald in den Schubladen der Militärs.

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