zum Hauptinhalt
Lässt sich nicht beirren. Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan.

© Reuters

Türkei: Parlament der Schläge

In der Türkei haben sich Abgeordnete geprügelt. Es geht um ein schärferes Demonstrationsrecht. Die EU appelliert an die Türken, die internationalen Standards einzuhalten.

Schlagkräftige Argumente in Ankara: Hammer und Glocke des Sitzungspräsidenten sowie mehrere Stühle kamen in der Nacht zum Mittwoch bei einer wüsten Schlägerei im türkischen Parlament zum Einsatz. Fünf Oppositionsabgeordnete wurden verletzt, und es gibt keine Garantie dafür, dass sich die Lage im Hohen Haus nun dauerhaft beruhigt. Ein Abgeordneter erschien nach der Rauferei sicherheitshalber mit einem Fahrradhelm als Kopfschutz im Parlament.

Schlägereien im Parlament der Türkei sind an sich nicht ungewöhnlich, doch diesmal gingen die Streithähne ganz besonders rabiat zur Sache. Es mag am Thema gelegen haben: In der Debatte, die noch mehrere Tage dauern wird, geht es um ein neues Demonstrationsstrafrecht, das der türkischen Polizei erweiterte Befugnisse zuspricht und das von der Opposition als Instrument zur Errichtung eines Polizeistaates abgelehnt wird.

Die Regierungspartei AKP habe mit den Schlägen im Parlament vorgemacht, was die Polizei demnächst auf den Straßen des Landes veranstalten werde, sagte der Kurdenpolitiker Ertugrul Kürkcü, der eine Kopfverletzung davontrug und sich deshalb den Fahrradhelm besorgte. Mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament kann die AKP die Novelle durchpeitschen, ohne auf die Einwände der Opposition einzugehen. Mit dem Gesetz soll die Polizei zusätzliche Vollmachten bei Festnahmen, Durchsuchungen und Abhöraktionen erhalten. Unter anderem sollen Verdächtige bis zu zwei Tage festgehalten werden können, ohne dass dies von der Justiz geprüft wird. Vermummung während einer als staatsfeindlich eingestuften Kundgebung kann mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Wenn aus einer Demonstration heraus Brandsätze geworfen werden, dürfen Polizisten scharf schießen.

Die Türken weisen jede Kritik zurück

Das Gesetzespaket ist die Antwort der AKP auf Kurdendemonstrationen im vergangenen Herbst, bei denen mehrere Dutzend Menschen ums Leben kamen. Präsident Recep Tayyip Erdogan, der trotz seiner Rolle als Staatsoberhaupt weiter der De-facto-Chef der AKP ist, beschimpfte die Gegner des geplanten Gesetzes als Anhänger von Chaos und Zerstörungswut. Dagegen fordert die Opposition, die Regierung solle das ihrer Meinung nach undemokratische Gesetzespaket zurückziehen.

Mit diesem Appell stehen die Erdogan-Gegner nicht allein. Mehrere tausend Anwälte protestierten diese Woche vor dem Parlament gegen den Regierungsentwurf. Kritik kommt auch aus Europa und von Menschenrechtlern. Eigentlich hatte Europa nach den brutalen Polizeieinsätzen bei den Gezi-Protesten 2013 einen Abbau der Polizeimacht erhofft – doch nun geschieht das Gegenteil.

Die EU rief den Beitrittskandidaten Türkei angesichts des geplanten Demonstrationsstrafrechts deshalb ausdrücklich zum Schutz der Grundrechte auf. Der Europarat appellierte an das türkische Parlament, die Gesetzesnovelle „im Lichte der relevanten internationalen Standards“ nachzubessern. Auch die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch (HRW) äußerte Vorbehalte.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu weist die Kritik zurück und betont, alle geplanten Maßnahmen seien auch in den Polizeigesetzen von EU-Ländern zu finden. Davutoglu unterstreicht seine Entschlossenheit, das Maßnahmenbündel so zu verabschieden, wie es ist: „Das Gesetzespaket wird kommen, es wird kommen, es wird kommen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false