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Türkei: Türkinnen dürfen bald an Unis Kopftuch tragen

Im Streit um das Kopftuchverbot an türkischen Universitäten zeichnet sich ein klarer Sieg für Ministerpräsident Erdogan ab. In einer ersten Abstimmung im Parlament stimmte eine deutliche Mehrheit gegen das Verbot. Damit könnten schon am kommenden Montag die ersten Kopftücher an den Unis auftauchen.

Die Nacht war lang, die Debatte hitzig, aber das Ergebnis stand schon lange vorher fest. Als das türkische Parlament in Ankara am Donnerstagmorgen gegen vier Uhr Ortszeit (drei Uhr MEZ) in erster Lesung über die geplante Verfassungsänderung zur Freigabe des Kopftuchs für Studentinnen abstimmte, lagen 13 Stunden voller heftiger Diskussionen hinter den Abgeordneten. Dann votierten rund 400 Parlamentarier für das Kopftuch, rund 100 dagegen. Ein ähnliches Ergebnis dürfte es bei der Schlussabstimmung am Samstag geben. Doch der sich abzeichnende Sieg für Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der seinen Wählern seit Jahren die Kopftuch-Freiheit verspricht, könnte den Premier noch teuer zu stehen kommen.

Neue Argumente wurden in der Mammutdebatte nicht ausgetauscht. Die Kemalisten-Partei CHP warf der Kopftuch-Allianz aus Erdogans Regierungspartei AKP und der nationalistischen MHP vor, die Türkei islamisieren zu wollen. AKP und MHP wiesen das zurück und hielten der CHP vor, sich eine Interpretationshoheit über das Wesen des Laizismus anzumaßen. Es ist anzunehmen, dass das Parlament am Samstag auch die zweite und abschließende Lesung mit ähnlichen Abläufen und Ergebnissen hinter sich bringen wird. Anschließend wird eine rasche Zustimmung von Staatspräsident Abdullah Gül erwartet. Voraussichtlich schon ab Montag könnten Studentinnen ein Kopftuch tragen, kommentierte eine Zeitung. Sicher ist aber, dass der Widerstand der Kopftuchgegner weitergeht. Die CHP will die Novelle vor dem Verfassungsgericht anfechten, das 1989 das Verbot eingeführt hatte. Zudem prüft die regierungskritisch eingestellte Justiz ein Verbot der Erdogan-Partei AKP.

Doch nicht nur seine Gegner könnten dem Premier neuen Ärger bereiten. Das einzigartige Bündnis von Reformern und Frommen in der AKP, das den Erfolg der Erdogan-Partei ausmacht, hat deutliche Risse bekommen. Noch bevor das Parlament die Kopftuchfreiheit überhaupt verabschiedet hat, musste Erdogan bereits Parteifreunde zurückpfeifen, die eine Freigabe des Kopftuchs auch für Beamtinnen der säkularen Republik verlangten. Diese Forderungen sind ein gefundenes Fressen für die Gegner des Ministerpräsidenten. Gleichzeitig verschreckt die AKP damit gemäßigte Wähler.

Ohnehin fühlen sich Reformer in der AKP durch die Kopftuchdebatte abgestoßen. Der Journalist Rusen Cakir, einer der besten Kenner des AKP-Innenlebens, verwies am Donnerstag in der Zeitung „Vatan“ darauf, dass die Erdogan-Partei zwar beim Thema Kopftuch die Freiheitsrechte stark betone – es aber nicht über sich bringe, den als Einschränkung der Freiheitsrechte geltenden „Türkentum“-Paragrafen 301 zu ändern. Zudem sind viele AKP-nahe Reformer enttäuscht darüber, dass sich Erdogan in der Kopftuch-Frage mit der EU-feindlichen MHP zusammengetan hat.

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