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Wulff besucht Ankara: Türkische Christen: Allein im Glauben

In Deutschland wird über den Islam gestritten, in der Türkei werden Christen verfolgt. Bei seinem Besuch am Bosporus in dieser Woche will Bundespräsident Christian Wulff über die Lage der türkischen Christen sprechen. Mit welchen Schikanen müssen sie rechnen?

Türkische Fähnchen flatterten im Frühlingswind, als im Mai dieses Jahres die syrisch-katholische Kirche von Iskenderun wiedereröffnet wurde. Türkische Politiker und Würdenträger in dunklen Anzügen und Geistliche aller möglichen Konfessionen drängten sich in der Frühlingssonne vor der mit Luftballons geschmückten Kirche. Gemeinsam durchschnitten sie das rote Band, nachdem Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan per Telekonferenz aus Ankara das Signal dazu gegeben hatte. „Hayirli olsun“ – gesegnet soll es sein –, rief Erdogan und die Gemeinde jubelte. Für hunderttausende Euro hatte der Staat die jahrzehntelang als Waffenlager und Pornokino genutzte Kirche restauriert, nun wurde sie den Christen zurückgegeben. Als „Treffpunkt der Religionen und Kulturen, an dem alle Völker in Ruhe und Frieden zusammenleben können“ lobte der römisch-katholische Bischof von Anatolien, Luigi Padovese, die Türkei in seiner Ansprache. Vier Wochen später war Padovese tot - von seinem Leibwächter erstochen in einem Attentat, dessen Hintergründe noch nicht geklärt sind.

Das südtürkische Iskenderun, wo der Bischof auch seinen Amtssitz hatte, liegt unweit von Tarsus an der Mittelmeerküste, wo Bundespräsident Christian Wulff bei seinem Türkeibesuch in dieser Woche an einem Gottesdienst teilnehmen will. Die Feier wird symbolischer Höhepunkt einer Visite sein, bei der das besondere Interesse des Bundespräsidenten der Situation der Christen in der Türkei gilt - einer Situation, die von den Ereignissen in Iskenderun widergespiegelt wird: Auf der einen Seite bemüht sich die (selbst religiös inspirierte) Regierung Erdogan beharrlich um Verbesserungen der Minderheitenrechte und eine Gleichstellung der Christen. Auf der anderen Seite können Christen in der Türkei nicht einmal ihres Lebens sicher sein. Wie Padovese wurden in den vergangenen Jahren ein weiterer katholischer Priester, drei Protestanten und ein armenischer Christ von religiös-politisch motivierten Attentätern ermordet. Eine misstrauische Bevölkerung und feindselige Behörden machen den Christen das Leben schwer.

Von armenisch-apostolisch bis zu syrisch-orthodox tummeln sich mehr als ein Dutzend christlicher Glaubensgemeinschaften in Anatolien, wo das Christentum tiefe Wurzeln hat. Noch vor 100 Jahren machten Christen ein Drittel der Bevölkerung in Istanbul und Anatolien aus. Nach den Massakern an den Armeniern im untergehenden Osmanischen Reich, dem Bevölkerungsaustausch mit Griechenland in den 20er Jahren und Jahrzehnten der systematischen Benachteiligung beträgt der christliche Anteil an der türkischen Bevölkerung heute kein halbes Prozent mehr. Trotzdem betrachten viele türkische Bürger und Behörden die wenigen Christen noch immer als gefährliche Staatsfeinde, vor denen es das Land zu schützen gelte. Obwohl sich die Regierung seit einigen Jahren bemüht, die jahrzehntelang errichtete Mauer der Diskriminierung Stück für Stück abzutragen, sind die Widerstände im Staatsapparat wie auch in der Opposition stark.

So reformierte die Regierung Erdogan vor vier Jahren die Gesetze, die es christlichen Gemeinden bis dahin unmöglich gemacht hatten, Kirchen zu bauen oder auch nur anzumieten. Seit 2006 sind die gesetzlichen Hindernisse nun ausgeräumt, doch in der Praxis habe sich wenig geändert, klagte die Vereinigung der protestantischen Kirchen kürzlich: Fast alle Anträge der Gemeinden würden vor Ort von kommunalen Behörden blockiert. Andere Probleme gab es, als die Regierung ein Reformpaket durchs Parlament boxte, mit dem die staatliche Enteignung tausender Immobilien aus Kirchenbesitz rückgängig gemacht wurde. Die kemalistische Opposition zog dagegen vor das Verfassungsgericht.

Angesichts solcher Widerstände dürfte es auch beim besten Willen noch länger dauern, bis die Christen in der Türkei nicht mehr benachteiligt sind, denn die Liste der Klagen ist lang. So betrachtet der türkische Staat nur orthodoxe Armenier und Griechen sowie Juden als religiöse Minderheiten, denen er begrenzte Rechte und eigene Schulen zugesteht. Syrisch-orthodoxe, protestantische, katholische und andere Gemeinden werden aufgrund einer äußerst umstrittenen Auslegung des Friedensvertrags von Lausanne von 1923 dagegen nicht als Institutionen oder Rechtspersonen anerkannt und sind deshalb praktisch geschäfts- und handlungsunfähig. Erst seit Kurzem können Gemeinden sich mit einigen Schwierigkeiten als Vereine anmelden.

Das brennendste Problem der Kirchen ist aber das faktische Verbot der Priesterausbildung, das seit annähernd 40 Jahren besteht und insbesondere das 1700 Jahre alte Patriarchat von Konstantinopel fast zum Aussterben gebracht hat. Als Übergangslösung ließ Ministerpräsident Erdogan jetzt zwar auf Bitten des Patriarchen 14 Metropoliten aus dem Ausland einbürgern, um den Untergang abzuwenden. Gegen die von der Regierung angestrebte Wiedereröffnung des orthodoxen Priesterseminars Halki und anderer christlicher Seminare stemmen sich aber immer noch mächtige Kräfte in Justiz, Bürokratie und Opposition.

Nur mit kleinen Schritten geht deshalb die Verbesserung der Lage der Christen voran. Erstmals seit Gründung der Republik konnten in diesem Jahr Tausende griechisch-orthodoxe und armenische Christen in ihren altangestammten Kirchen im nordtürkischen Trabzon und im osttürkischen Van beten, die bis dahin für Gottesdienste gesperrt waren. Nun sollen auch die Pauluskirche in Tarsus, die Nikolauskirche im alten Myra, die Marienkirche in Izmir und ein Dutzend weitere historische Kirchen wieder freigegeben werden – ein entsprechender Erlass ist in Vorbereitung.

Wichtiger als solche Symbole ist allerdings der Geisteswandel, der zumindest in türkischen Regierungskreisen eingesetzt zu haben scheint. Christliche und jüdische Bürger seien gefälligst korrekt zu behandeln und vor Hetze zu schützen, schrieb Ministerpräsident Erdogan kürzlich in einem Runderlass an die Behörden: Als türkische Staatsbürger hätten sie das gute Recht, neben der nationalen Kultur und Identität auch ihre eigene Kultur und Identität zu bewahren.

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