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Der türkische Staatspräsident Erdogan im Konfettiregen bei einem Auftritt in Istanbul. Auch in Deutschland hat er viele Anhänger.

© Ozan Kose AFP

Türkischer Wahlkampf in Deutschland: Die Regierung kann, wenn sie will - aber soll sie auch?

Türkischen Ministern oder Präsident Erdogan können politische Auftritte in Deutschland verboten werden. Das Bundesverfassungsgericht mischt sich in die Diskussion einer heiklen politischen Frage ein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Türkischen Ministern oder auch Staatspräsident Erdogan können politische Auftritte in Deutschland verboten werden. Dies hat das Bundesverfassungsgericht mitgeteilt. Von „entscheiden“ kann schlecht die Rede sein. Es handelt sich um eine Selbstverständlichkeit. Auch deutsche Minister oder die Kanzlerin könnten sich bei der Wahrnehmung amtlicher Funktionen nicht auf Grundrechte berufen. Warum also ausländische Amtsträger? Die Bundesrepublik ist ein souveräner Staat, der selbst entscheidet, welche Repräsentanten anderer Staaten sie einreisen oder hier reden lässt.

Verfassungsbeschwerden wie die, die das Gericht abgelehnt hat, gehen in Karlsruhe täglich dutzendweise ein. Bürger wollen durchsetzen, dass Politik in ihrem Sinne gemacht wird. Im aktuellen Fall hatte einer vorgetragen, ein Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim verletze ihn in seinen Grundrechten. Eine originelle, aber abwegige Idee. Außenpolitische Entscheidungen der Regierung, die einzelne Deutsche nicht direkt betreffen, haben mit Grundrechtsschutz wenig zu tun. So wird man Kanzlerin Merkel per Verfassungsbeschwerde auch schwerlich untersagen können, Donald Trump in den USA zu besuchen.

Merkel ist auf gute Beziehungen angewiesen

Normalerweise werden solche Anliegen ohne Begründung abgewiesen. Hier nicht. Das macht den Beschluss, der mehr eine Botschaft ist, bemerkenswert. Seine Konsequenz könnte sein, dass der Druck auf Merkel wächst, das Werben türkischer Politiker für das Verfassungsreferendum zu untersagen. Das würde die Lage für die Kanzlerin noch schwieriger machen, die nicht nur in Flüchtlingsfragen auf gute Kooperation mit dem Nato-Partner angewiesen ist. Oder aber der Druck nimmt ab, weil die Debatte um die türkischen Auftritte wieder in geordnetere Bahnen zurückgeführt wurde. Denn jetzt muss allen klar sein: Die Regierung kann, wenn sie nur will. Sie ist kein Opfer allzu liberaler Vorstellungen von Meinungsfreiheit. Grundrechte schwächen die Politik nicht, sie stärken sie – indem sie ihr wichtige Freiheit lassen.

Die Türkei ist nicht Nordkorea

Manche Stellungnahmen aus Politik und Medien lassen sich derzeit so deuten, als wäre es vielen am liebsten, die deutsche Regierung möge die Türkei so behandeln wie Nordkorea. Ob deutschen Interessen damit wirklich gedient wäre oder, beispielsweise, auch denen der türkischen Opposition, erscheint zweifelhaft. Insofern wäre zu wünschen, dass der Richterspruch nicht zur Eskalation beiträgt, wie sie sich jetzt in den Verbindungen der Türkei zu den Niederlanden dramatisch abzeichnet. Als ausgewiesen demokratische Nation kann die Bundesrepublik zudem schlecht ignorieren, dass auf ihrem Staatsgebiet anderthalb Millionen Menschen leben, die beim türkischen Referendum mitstimmen dürfen. Es braucht, wie meist in der Diplomatie, Besonnenheit. Härte führt ins Abseits.

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