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Der Pirat und Landtagsabgeordnete Dietmar Schulz problematisierte die Gleichzeitigkeit von Volkstrauertag und israelischer Offensive in Gaza.

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Update

Twitter-Debatte: Antisemitismus-Eklat: Pirat entschuldigt sich - ein bisschen

Ein Landtagsabgeordneter der Piratenpartei hat auf Twitter einen wirren Zusammenhang zwischen Holocaust und dem Krieg im Gazastreifen konstruiert. Auf den öffentlichen Druck hin bittet er nun um Entschuldigung. Mit Einschränkungen.

Mit nicht einmal 140 Zeichen hat Dietmar Schulz, Landtagsabgeordneter für die Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen, einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. "Grotesk: Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg auf jüdischem Friedhof während Israel bombt was das Zeug hält", schrieb Schulz anlässlich des Volkstrauertages und der israelischen Offensive in Gaza am Sonntag auf Twitter. Die Reaktionen kamen schnell. Diese "antisemitische Kackscheiße" sei "für eine demokratische Partei untragbar", twitterte etwa Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion. Er forderte den "Rausschmiss" von Dietmar Schulz. Der Düsseldorfer Jurist war im Mai als einer von zwanzig Piraten in den Landtag in Nordrhein-Westfalen eingezogen und ist rechtspolitischer Sprecher der Fraktion.

Am Nachmittag nun äußerte sich Schulz schließlich nach hohem öffentlichen Druck: "Der Tweet hatte und hat nicht die Absicht, das Gedenken der Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg in Mitleidenschaft zu ziehen oder gar zu diskreditieren", schreibt Schulz auf der Website seiner Fraktion. Vielmehr ziele der Tweet darauf ab, die Gewalt gegen Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft zu kritisieren - egal ob historisch bedingt oder aktuell. Etwas umständlich distanziert sich Schulz schließlich von seiner Äußerung auf Twitter: "Sollten sich unmittelbare, mittelbare Opfer oder Angehörige von Opfern von Gewaltherrschaft und/oder Krieg durch den Tweet in ihrer Ehre oder der Ehre und dem Andenken Angehöriger an Opfer verletzt fühlen, bedauere ich auch dies zutiefst und entschuldige mich für die – wenn auch aus meiner Sicht fern liegende – Schaffung der nicht ausschließbaren Grundlage für eine solche, nicht beabsichtigte Interpretationsmöglichkeit."

Landtagspräsidentin Carina Gödeck (SPD) hatte zuvor deutlichere Worte gefunden. Der Abgeordnete der Piratenpartei habe nach ihrer Ansicht den Antisemitismus bedient, sagt sie der Nachrichtenagentur dpa. Auch die Spitze der Piratenpartei reagierte hart. "Diese Äußerung von Dietmar Schulz ist an politischer Instinktlosigkeit nur schwer zu überbieten", schrieb Klaus Peukert, Mitglied des Bundesvorstandes der Piratenpartei, auf seinem privaten Blog. "Dietmar Schulz sollte dringend seine Äußerung reflektieren und sich intensiv mit der historischen Verantwortung Deutschlands beschäftigen, bevor ihm wieder so ein hingeschludertes Gedankenfragment entfleucht." In der Piratenpartei sei kein Platz für Antisemitismus.

Die Piratenfraktion in NRW nahm am Montagvormittag auf ihrer Internetpräsenz Stellung: "Bei dem offensichtlich missverständlich formulierten Tweet kann es sich nur um ein Versehen handeln. Wir erwarten, dass Dietmar Schulz diesen Eintrag richtigstellt.“ Ein Pressesprecher der Fraktion betonte, es habe noch keine direkte Aussprache zwischen Fraktion und Schulz geben können, er sei auf keiner Nummer zu erreichen. Zuvor hatte sich bereits der Landesverband NRW zu dem Tweet geäußert: "Der Landesvorstand der Piraten NRW ist enttäuscht von diesem unreflektierten Verhalten. Dietmar Schulz hat in diesem Tweet unzulässig und unnötig ein historisches und aktuelle politische Ereignisse völlig unterschiedlicher Dimensionen vermengt", heißt es in einer Stellungnahme auf der Website des Landesverbandes. Der Vorstand hoffe, dass Schulz sich lediglich missverständlich geäußert habe. Es sei aber auch unreflektiert, der ganzen Partei antisemitisches Verhalten zu unterstellen. Auch der Landesverband hatte eine Entschuldigung eingefordert, die Schulz nun am Nachmittag nachgeliefert hatte.

Noch am Sonntag sah Schulz derweil keinen Grund, seine Äußerungen zu relativieren: "Die Sache ist einfach so: Irgendjemand schreibt jüdischer Friedhof und Israel in einen Satz. Ein anderer schreit Antisemit. Peng!", twitterte Schulz als Antwort auf eine Vielzahl von Tweets. Die Parteibasis der Piraten hatte sich bereits kurz nach Schulz' Äußerungen auf Twitter zu Wort gemeldet. Hunderte User überzogen Schulz mit einem sogenannten "Shitstorm", und prangerten den entsprechenden Tweet und Schulz' Umgang damit an. Seinen Kritikern warf Schulz hingegen vor, keine Debatte zuzulassen.

Genau die möchte die Partei aber wohl vermeiden. Das Schlimmste an der Sache sei, dass Schulz "ohne Not erneut die gesamte Partei und die Fraktion in Verruf bringt", bloggte Pirat Frank Leibowitz. Im Frühjahr 2012 hatte die Piratenpartei mit einer massiven Debatte zur innerparteilichen Abgrenzung gegenüber Rechtsextremismus und Antisemitismus zu kämpfen. Mehrere Einzelfälle machten Schlagzeilen, etwa jener des Piraten Matthias Bahner aus Mecklenburg-Vorpommern. Er hatte seine Partei als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf geführt, eine frühere Mitgliedschaft in der NPD aber verschwiegen. Auch der Fall des Niedersachsen Carsten Schulz sorgte für Aufruhr, der Holocaust-Leugnung für eine Meinung wie jede andere hielt und ihr Verbot deshalb aufheben wollte.

Lange erweckten die Piraten den Eindruck, sich im Sinne eines fragwürdigen Verständnisses von Meinungsfreiheit nicht scharf genug nach Rechtsaußen abzugrenzen. Schließlich fand die Debatte mit einer einstimmig verabschiedeten Resolution auf dem Bundesparteitag im April ein vorläufiges Ende - bis jetzt. (mit dpa)

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