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Politik: U-Boot-Jäger sucht Holzschiffchen

Verteidigungsminister Struck bei den deutschen Soldaten am Golf von Aden. Noch ist alles ruhig, aber wie lange?

Von Robert Birnbaum

Der Frachter sechs Seemeilen schräg voraus ist nur mit dem Fernglas zu erkennen, ein verschwommener Fleck am dunstigen Horizont. Der Maat auf der Brücke der „Mecklenburg-Vorpommern“ spult seinen Funkspruch ab: „Coalition warship“ ruft unbekanntes Schiff. Die Fregatte der Bundesmarine pflügt gemächlich durch den Golf von Aden. Der Frachter meldet sich nicht. „Die sehen uns noch nicht“, vermutet der Wachhabende. „Oder sie haben keine Lust.“ Oder sie haben etwas zu verbergen. Das sagt der Wachhabende nicht, aber das ist schließlich der einzige Grund, weshalb deutsche Kriegsschiffe seit etwa einem Jahr ein Seegebiet von der doppelten Größe der Bundesrepublik patrouillieren.

Durch den Golf von Aden, durch die nur gut drei Kilometer breite Engstelle Bab el Mandeb, läuft fast der gesamte Seefrachtverkehr zwischen Europa und Asien. Vor Aden auf der Südspitze der saudi-arabischen Halbinsel haben Terrorgruppen mit kleinen Außenborder-Speedbooten voller Sprengstoff zwei Anschläge verübt, zuletzt auf die französische „Limbourg". Nachts lässt die „Mecklenburg-Vorpommern“ ihre beiden Gasturbinen neben dem normalen Diesel-Antrieb laufen. 55 000 PS, die die gut 5000 Tonnen Stahl notfalls in Minuten auf 30 Knoten beschleunigen. Schnell genug, um einem Speedboot wegzufahren.

Es ist eine fremdartige Welt, in der sich die Fregatte bewegt, und das nicht wegen der Tropenhitze wenige Tage vor Weihnachten. Eine Welt, in der die zusammenbrechenden Türme des World Trade Centers sehr gegenwärtig sind. Eine Welt, in der irgendwo da draußen Leute sein könnten, die solche Anschläge planen. In einem saudi-arabischen Hafen, in einem verlassenen Nest im Bürgerkriegsland Somalia. Auf der blau-gelb gestreiften Dhau, die in einiger Entfernung vorbeituckert – winzige hölzerne Lastschiffe, wie sie seit Jahrhunderten die Küstengewässer von Saudi-Arabien und Ostafrika befahren. Oder an Bord des unbekannten Frachters. Der meldet sich immer noch nicht. Obwohl der Maat ihn auf dem Seenot-Kanal 16 anfunkt. Den muss jedes Schiff abhören.

„Wir haben einen Gegner“, sagt der Presseoffizier. „Dieser Gegner setzt alle Mittel ein.“ Der Presseoffizier mag starke Worte. Aber auch Peter Struck gebraucht für seine Verhältnisse recht martialisches Vokabular. „Die Lage ist ruhig, aber sie ist nicht stabil“, sagt der Verteidigungsminister. Das ist in allen seinen Teilen eine richtige Aussage, derzeit besonders im ersten. Die kleine Kriegsflotille – Deutsche, Spanier, Franzosen, Spanier, Briten, ein US-Boot – fährt seit etwa einem Jahr ihre Streifen. Gefunden hat sie nichts. Nur den nordkoreanischen Frachter „Sosan“ mit Raketenteilen unter Zementsäcken, aber den musste sie auf US-Anweisung wieder fahren lassen – der Jemen hatte die Geschosse bestellt. Und dafür der ganze Aufwand? Ein „Sondereinsatzkommando als Polizeistreife“, so beschreibt ein Marinesoldat seine Fregatte halb im Spott – ein U-Boot-Jäger, der hinter Holzschiffchen herfährt.

Auch Flottillenchef Rolf Schmitz greift zu einem Vergleich, der für den Koloss aus Stahl auf den ersten Blick nicht ganz angemessen erscheint: „Wir sammeln Steinchen in einem großen Puzzle.“ Das Puzzle besteht aus Meldungen, Computerdateien, Karten. In Häfen begutachten Agenten Frachtcontainer. Aus der Luft gucken deutsche See-Fernaufklärer, die in Mombasa stationiert sind, in Laderäume und auf Decks. Die Fregatte funkt alles an, was ihr auf den Radar kommt, und fragt höflich nach Woher und Wohin.

Irgendwo im Persischen Golf, im regionalen US-Hauptquartier der Operation „Enduring Freedom“, sammeln sich alle Daten. „Rasterfahndung“ nennt ein deutscher Offizier das Verfahren. Mit Glück ergibt das Puzzle irgendwann ein Bild.

Es wird kein lückenloses Bild, denn das Raster hat Lücken. Die deutschen Schiffe achten die 12-Meilen-Hoheitszonen, zwangsweise Schiffskontrollen bedürfen der Genehmigung aus Berlin. Bisher hatten die Deutschen den Fall noch nicht. Gut 5000 Schiffe per Funk oder Megafon befragt – die kleinen Dhaus haben keinen Funk; bei acht Schiffen näher nachgeschaut – Erfolge im landläufigen Sinne sind das nicht. Aber, gibt ein deutscher Offizier zu bedenken, vielleicht liegt in diesem Nichts der Erfolg. Al Qaidas Netzwerk „unter Druck halten“, damit Terroristen nicht mehr ungestört zwischen Arabien und Afrika pendeln. Das ist der Auftrag.

Über den zweiten Auftrag spricht keiner, obwohl ihn jeder kennt, der auf der „Mecklenburg-Vorpommern“ Augen und Ohren offen hält. Im Indischen Ozean fahren zurzeit sehr, sehr viele amerikanische Schiffe, mit einer sehr, sehr auffälligen Konzentration in der Golf-Region. Am Horn von Afrika hingegen machen sich die Amerikaner rar. Da halten ihnen ja auch die „coalition warships“ den Rücken frei. So wie sich ab nächster Woche auf Bitten der USA der Nato-Einsatzverband Östliches Mittelmeer aus dem Seegebiet um Zypern aufmachen wird, um die Straße von Gibraltar zu sichern. Wenn Terroristen auf einen Angriff auf den Irak mit Anschlägen auf Schiffe reagieren, kann schnell der zweite Teil von Strucks Satz in den Vordergrund treten: Stabil ist die Lage spätestens dann nicht mehr.

Der Frachter hat sich gemeldet. Mit dem Fernglas ist jetzt auch sein Name zu erkennen: die „Asmaa“, von Saudi-Arabien unterwegs nach Dschibuti. Zuletzt im Oktober abgefragt. Keine Verdachtsmomente. So wird das weitergehen, ein halbes Jahr lang, dann kommt der nächste Verband. Wie lange das noch gehen soll? Von einer „dauerhaften maritimen Präsenz“ spricht der Flotillenadmiral Schmitz. Struck hütet sich, offen über Zeiträume zu reden. Jahre? Keiner legt sich fest. Aber es widerspricht auch keiner.

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