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Politik: Über die Barrikade

DEUTSCHE REFORMEN

Von Tissy Bruns

Es muss sein. Und es kann gehen. Daran wird die Union ihre Haltung ausrichten müssen. Am besten für das Land wäre die Fortsetzung der neuen Dynamik mit den Kräften der Union. Sie könnte dem rotgrünen Paket aus Agenda und Steuerentlastung den richtigen Schliff geben, eine vernünftige Finanzierung. Das Rennen um die Gunst der Wähler folgt jedenfalls neuen Regeln. Im Bundestagswahlkampf galt noch: Wer sich zuerst bewegt, ist tot. Jetzt will das Volk Taten. Wer taktisch mäkelt, kommt schlecht an.

Als Juso-Chef lernt man beizeiten, was man als Kanzler brauchen kann. Doppelstrategie hieß der Leitbegriff für die jungen Leute, die vor 30 Jahren in die SPD geströmt sind. Weil sich erwiesen hatte, dass von der Straße aus die Gesellschaft nicht umzukrempeln war, sollte der außerparlamentarische um den parlamentarischen, institutionellen Weg ergänzt werden. Der revolutionäre Anspruch hielt sich beim Juso- Chef Gerhard Schröder in Grenzen. Doch als Kanzler der Kombi-Taktiken im Umgang mit Volk und Institutionen will er sich offenbar selbst übertrumpfen. Durch energisches Vorpreschen hat er sein Parteivolk in zehn Wochen überzeugt, der Regierung auf einem harten Weg zu folgen. Jetzt setzt er ganz auf eine neue Stimmung in der Bevölkerung, um die restlichen Institutionen in den Reformprozess zu zwingen.

Die restlichen Institutionen allerdings sind ziemlich stark. Die Opposition im Bundestag, die Länder mit ihren Eigeninteressen, die Unions-Mehrheit im Bundesrat – zusammengezählt ergibt das nicht weniger als die halbe Macht. Der Bundeskanzler heißt Schröder, doch was er und seine Minister verkünden, muss der Bundesrat mitbeschließen. Diesen realen Zustand der deutschen Doppelherrschaft hat die Union ausgereizt, als sie den ersten Anlauf der rot-grünen Koalition nach der Bundestagswahl zerlegt hat. Sachlich in der Länderkammer. Politisch folgte eine schallende Ohrfeige bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen, die Schröder schwächer, die Union stärker gemacht haben.

Die Ohrfeige galt dem Bundeskanzler höchstpersönlich. Und er hat sie persönlich genommen, was heißt, dass die starke Union sich vor Übermut hüten sollte. Denn wenn man sich bei Schröder auf etwas verlassen kann, dann ist das seine Fähigkeit, mit dem Rücken an der Wand zu großer Form aufzulaufen. Die Bilder unter den Bäumen von Neuhardenberg zeigen dieselbe rot-grüne Regierung, der ein halbes Jahr alles danebengegangen ist, was sie angefasst hat. Der die Agenda 2010, die Gesundheits- und die Steuerreform ebenso aus der Hand gleiten müssten, rein sachlich oder machtpolitisch gesehen.

Aber die letzten Monate haben gezeigt: Deutschland bewegt sich doch. Weil die Atmosphäre im Land sich geändert hat, wird das Nein aus den Reihen von CDU und CSU zum Vorziehen der Steuerreform nur die erste Reaktion, nicht das letzte Wort sein können. Die atmosphärische Wende spiegelt sich nicht in den üblichen Partei-Umfragen. Aber sie ist beträchtlich. Ihr erster Vorbote war die fast leidenschaftliche Enttäuschung über die eben wiedergewählte rot-grüne Koalition. Ihr stümperhaftes Programm unterschritt alle Erwartungen der Bürger, die seit dem letzten Winter die Augen nicht mehr verschließen konnten vor den schlechten Nachrichten im eigenen Umfeld und in den Zeitungen. Die Erkenntnis war bitter und tief, dass die Lage ganz andere Einschnitte verlangt als eine rot-grüne Streichliste, und sie wurde bei den Landtagswahlen böse an den Bundeskanzler weitergereicht. Der wiederum legte die Hebel um, und lieferte den zweiten Anhaltspunkt für eine veränderte Grundstimmung. Der Erkenntnis über die bittere Lage folgte die ermutigende Botschaft, dass es vielleicht gehen könnte mit den schwierigen Reformen. Egal, ob Schröder seine Partei besiegt oder ob er sie überzeugt hat; jedenfalls hat sich die schwerfällige SPD bewegen lassen. Das hat eine Dynamik ausgelöst, die unfreiwillig, aber nicht zufällig von der IG Metall unterstrichen worden ist. Das Bild der zerfallenen, besiegten Streikfront kombiniert sich mit denen aus Neuhardenberg zu einer Erzählung vom Neuanfang, weil das Alte unwiderruflich zu Ende gegangen ist.

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