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Ukraine: Diplomatischer Sieg für Juschtschenko

Das EU-Parlament erinnert an die Hungersnot in der Ukraine unter Stalin - und erkennt es als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Kritiker werfen dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko Kalkül vor.

Viktor Juschtschenko hat einen kleinen Sieg über Russland davongetragen. Bei jedem Staatsbesuch hat der ukrainische Präsident seinen Gesprächspartnern erklärt, was damals passiert ist, vor fast 80 Jahren, als Josef Stalin das Sagen über die Ukraine hatte. Nun wurde Juschtschenkos Beharrlichkeit belohnt: Das Europaparlament hat die Hungersnot Anfang der dreißiger Jahre in der Ukraine in einer Resolution als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.

In der Geschichtsschreibung Europas mag dies eine Fußnote sein, doch ist die Interpretation des damaligen Geschehens für die Ukraine von zentraler Bedeutung für das Selbstverständnis der inzwischen von Russland unabhängigen Nation. Noch immer weiß niemand, wie viele Menschen den verheerenden Hungerkatastrophen, „Holodomor“ genannt, in jenen Jahren zum Opfer fielen. Zwei Millionen, heißt es aus Moskau; zehn Millionen, sagen Historiker in Kiew.

Verursacht wurde die Not durch die überhöhten Getreiderequirierungen der Sowjetmacht. Zudem wurden in den Dörfern der Ukraine im Herbst 1932 sämtliche Lebensmittel konfisziert und die Bevölkerung damit bewusst dem Hungertod ausgeliefert. Die Stalin-Führung sah im Hunger ein Instrument, um die Ukrainer zu unterwerfen. Der Widerstand der Bauern gegen die Kollektivierung sollte gebrochen werden. Kritiker werfen Juschtschenko vor, nicht an einer möglichst objektiven Aufarbeitung der ukrainischen Geschichte interessiert zu sein. Der Präsident wolle die Historie lediglich politisch ausschlachten, um auf diese Weise das verhasste Moskau vor den Augen der internationalen Öffentlichkeit zu diskreditieren.

Ein ähnlicher Streit ist inzwischen auch um die Ukrainische Aufständische Armee UPA entbrannt. Diese Armee lieferte sich bis in die fünfziger Jahre hinein in der Westukraine einen Guerillakrieg mit der sowjetischen Armee. In der russischen Geschichtsschreibung wurden die Angehörigen der Ukrainischen Aufständischen Armee als Kollaborateure der Nazis verbrämt. Juschtschenko schreibt nun diese Geschichte um und hat ihren Oberbefehlshaber jüngst mit dem Titel „Held der Ukraine“ gewürdigt.

Dem Präsidenten der Ukraine reicht die Anerkennung des „Holodomor“ durch das Europaparlament als Verbrechen gegen die Menschlichkeit allerdings nicht aus. Er will, dass auch die Vereinten Nationen in New York die Hungerkatastrophe in der Ukraine offiziell als Genozid verurteilen. Bis jetzt ist Juschtschenko mit diesem Ansinnen allerdings gescheitert. Es wird gemunkelt, dass Russland immer wieder erfolgreich verhindert habe, dass das Thema bei den UN auf die Tagesordnung gesetzt wird.

Knut Krohn[Warschau]

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